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Vorherbestimmung

Erstaunlich viele glauben an die Vorherbestimmung. Wenn einer das Licht der Welt erblickt, ist vorherbestimmt

wann und wie er einen Unfall erleidet, krank wird oder wieder abtreten darf oder muss – so glauben sie.

Da sie natürlich erst (und nur) im Nachhinein sagen können was vorherbestimmt war, bringt das wenig

(oder besser gesagt überhaupt keinen) Erkenntnisgewinn, was das Erkennen von Ordnungen in der Welt betrifft.

Ordnungen in der Welt. Das Anliegen von (Natur-)Wissenschaft: Theorien über Ordnungen in der Welt zu entwickeln,

die Beschreibungen, Erklärungen und Vorhersagen ermöglichen.

Aber das ist nicht das einzige Problem mit der Vorherbestimmung.

Wenn alles vorherbestimmt wäre, bräuchte es logischerweise einen „Vorherbestimmer“ bzw. eine Instanz, die irgendwann (bei der Geburt - vielleicht auch schon vorher - oder zu welchem Zeitpunkt auch immer) festlegt, was vorherbestimmt wird und dann den Ablauf der Dinge kontrolliert. Zum Beispiel, dass sich genau zum richtigen Zeitpunkt ein bestimmter Dachziegel lockert und die nichtsahnende Person mit der entsprechenden Vorherbestimmung sich dann genau zum richtigen Zeitpunkt darunter aufhält. Die Lockerung des Ziegels und der Aufenthalt der Person müssten koordiniert werden.

Und das nicht nur für eine Person, sondern für Abermillionen schicksalhafter Ereignisse weltweit!

Die Koordination von Unfällen, Katastrophen und Krankheiten aller Art mit den entsprechenden Zielpersonen.

Wer sollte das tun? Und wie? Derjenige (oder die Instanz) müsste allmächtig sein.

Wer käme dafür in Frage? Es müsste sich um einen Gott handeln. Vielleicht der, den sie „den lieben“ nennen?

Wenn´s der wäre, der es einrichtet, dass der Dachziegel genau zum richtigen Zeitpunkt runterfällt,

wäre er zumindest nicht ganz so lieb, wie seine treuen Verehrer annehmen.

Und dass Gottes Ratsschlüsse rätselhaft sind, hilft auch nicht weiter.

Dass Gott sie liebt, davon sind seine Anhänger jedenfalls nicht abzubringen. Egal wie tief sie im Mist stecken.

Und das durchaus im Sinne der Wahnkriterien "absolute subjektive Gewissheit" und "Unkorrigierbarkeit".

Seltsam ist das schon.

Wie dem auch sei. Wie bei so vielem, was die Leute glauben, ist jede Diskussion hierüber zwecklos, vertane Zeit,

außer man betrachtet das als Redeübung. Sie glauben daran und darum ist es so.

Ich glaubte noch nie viel, am wenigstens aber an irgendeine Vorherbestimmung.

Bis zu jenem Tag im Herbst vor langer Zeit.

Seitdem bin ich mir nicht mehr ganz so sicher.

Da schien es fast so als ob mir etwas vorherbestimmt war.

Unausweichlich, Unvermeidbar.

Und das kam so:

Ein sonniger Herbsttag. Einmal mehr fahre ich nach der Arbeit nach Hause, mit dem Radl durch die Fußgängerzone, ans andere Ende der Stadt. Die Altstadt von Reichenhall, die Häuser um den Florianiplatz. Als einzige blieben sie vom großen Stadtbrand 1834 verschont. In der Mitte der Brunnen mit dem Heiligen St. Florian mit den vier Bäumchen ringsum, von denen eines erst nach intensiven Bemühungen der Stadtgärtnerei zum Anwachsen zu bewegen war. Alles sieht so aus wie vor hundert Jahren. Die Zeit ist stehengeblieben. Eine andere Welt. Heimat. Ich merke wie ich ruhiger werde, hier gehöre ich her.

Durch den Hintereingang betrete ich das Bergerhaus. Zuvor ein kleiner Garten. Die Hausleute sitzen im Gartenhaus, wie jeden Tag um die Zeit, beim täglichen Mensch-ärgere-dich-nicht Spiel. Frau Berger trinkt Kaffee, Herr Berger ein Bier aus der Flasche. Nebenbei versucht er ein bisschen zu Schummeln. Aber Frau Berger kennt das schon, passt auf, dass er sie nicht wieder zu Unrecht rauswirft. Beide weit über 80, nie im Besitz eines Autos, Hochzeitsreise nach Venedig, sonst immer daheim. Die Wohnung winzig, der Garten ein Schmuckstück. Eine kleine Welt. Wunschlose Zufriedenheit. Meine Vorbilder.

Im ersten Stock meine Bude. Auch nicht viel Platz. Holzvertäfelung. Almhüttenatmosphäre.

Nicht für viel Geld möchte ich woanders sein.

Es ist noch nicht spät heute. Gerade recht für eine kleine Feierabendbergtour. Zum Abbau negativer Energien die sich tagsüber bei so einem Klinikjob ansammeln. Turnhose an und Turnschuhe, ein Unterhemd in den Rucksack gepackt und einen Müsliriegel. Und los. Ich sause die Treppe runter zum Vordereingang, unmittelbar hinter der Tür steht man schon am Florianiplatz. Aber was muss ich sehen! Einen riesigen Hundsdreck, direkt vor der Tür. Unverschämtheit, denke ich mir, der Besitzer von dem Köter hätte den Dreck wenigstens wegmachen können. Das ist wohl das geringste was man erwarten kann. Aber wenigstens bin ich nicht hineingetreten. Gott sei Dank! Weiter sause ich zum Auto, das in der Nähe geparkt ist. Und los. Ich komme nicht weit, da fällt mir ein dass ich den Geldbeitel vergessen habe. Den brauche ich schon. Mist. Also zurück. Am Hundsdreck vorbei nochmal ins Haus, Treppe rauf, Beitel eingesteckt, und zurück zum Auto. Kaum den Zündschlüssel umgedreht merke ich: es stinkt! Fürchterlich. Nach Hundsdreck! Wie ist das möglich? Ich hab doch genau aufgepasst dass ich nicht da hintrete, wo der Dreck liegt!

Aber: Einer ist vor mir in den Hundsdreck getreten und hatte beim Weitergehen die Scheiße portionsweise am Pflaster verteilt.

Genau in dem kurzen Moment, als ich in der Wohnung oben war. Auf den Pflastersteinen schlecht sichtbar.

Und da wiederum stieg ich hinein. Unausweichlich, unvermeidbar, vorherbestimmt?

Sic:

Wenn du in die Scheiße treten sollst wirst Du hineintreten,

da kannst du machen was du willst.

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