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Der Beitrag

erschien am Montag 5. 8. 2024 im Reichenhaller Tagblatt

und am Samstag 31. 8. 2024 im Berchtesgadener Anzeiger 

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Zöllner-Bergmesse am Pfaffenkegel

anlässlich des Todes von Albert Hirschbichler

(von Albert Hirschbichler jun.)

 

Zum 62. Mal findet am 8. September die Zöllner-Bergmesse am Pfaffenkegel über dem Stahlhaus - genauer Carl-von-Stahl-Haus - statt. Anlass für die vom Hauptzollamt Rosenheim organisierte Messe ist der Tod von Albert Hirschbichler, Zollbeamter beim Zollkommissariat Berchtesgaden, der von einer Himalaya-Expedition 1959 nicht zurückkehrte.

Zur Erinnerung an ihn und alle verstorbenen Beschäftigten des Hauptzollamtes Rosenheim wird seitdem die Bergmesse durchgeführt.

Über den eigentlichen Anlass ist wenig bekannt. Aus dem Grund soll hier die Geschichte der British-Deutschen Batura-Expedition 1959, die fünf Bergsteigern das Leben kostete, geschildert werden.

 

Eine schicksalhafte Begegnung

Juli 1958. Zwei Berchtesgadener sind am Petereygrat des Mont Blanc unterwegs, der eine mit Namen Erwin Stocker, der andere Albert Hirschbichler, Vater des Verfassers. Drei Engländer sind ebenfalls am Grat unterwegs. Die Seilschaften klettern bereits weit über 4000 Meter Höhe als das Wetter umschlägt. Nebel, Schneesturm, schließlich wird es auch noch finster. Gemeinsam spuren sie über eine Gratschneide, erreichen um 22.15 Uhr in finsterer Nacht den Gipfel des Mont Blanc de Courmayour. Harmlose Firnhänge ziehen von dort zum Hauptgipfel des Mont Blanc hinüber, in der Nacht bei Schneesturm unmöglich zu finden. Ein Biwak wird fällig. Unter dem Biwaksack, den ihnen der Sturm fast entreißt, wird es eng. Die zwei Berchtesgadener nehmen noch zwei Engländer unter die schützende Hülle, der dritte verbringt die Nacht draußen in einem Schneeloch. Endlich, bei Tagesanbruch können sie weitergehen. Es nicht mehr weit zum Gipfel des Mont Blanc, von dem eine Spur über den Normalanstieg zur Vallothütte hinunterführt. Eigentlich wollten sie gleich ins Tal absteigen, aber das Wetter verschlechtert sich erneut, und so verbringen sie eine weitere kalte Nacht in der Notunterkunft. Die Hosen der Engländer sind so steif gefroren, dass sie stehen ohne umzufallen. Am nächsten Tag steigen sie ab. Beim gemeinsamen Abendessen in Courmayour reden die Engländer über eine geplante Himalaya-Expedition im Folgejahr, zu der sie Albert Hirschbichler einladen. Damals eine einmalige Gelegenheit. Er nimmt das Angebot an.

 

Batura-Muztagh im Karakorum-Gebirge

Ziel der Expedition unter der Schirmherrschaft des Herzogs von Edinburgh war der Batura I (7795 m), der höchste Gipfel eines Gebirgszuges (Batura-Muztagh) im Karakorum-Gebirge im Norden Pakistans. Mit dem 56 Kilometer langen Batura-Gletscher erstreckt sich dort der weltweit viertgrößte Gletscher außerhalb der Polargebiete. Südlich des Gletschers erhebt sich die Batura-Mauer, ein 40 km langer und nirgends unter 6000 Meter hoher Gebirgsgrat. Nicht weit entfernt steht der K2 (8611 m), der zweithöchste Berg der Welt.

 

1925 erkundete eine niederländische Expedition erstmals das Gebiet. Von Passu verfolgten sie den Batura-Gletscher bis an sein Ende wo mehrere Seitenarme zusammenfließen. Dabei kamen sie an einer Hochalm „Yashpirt“ (3300 m) hinter der Seitenmoräne vorbei, die bis dahin nur Jägern und Hirten des Hunza-Tales bekannt war.

 

Als nächste verfolgte eine Deutsch-Österreichische Himalaya-Karakorum-Expedition 1954 das Ziel einer Erforschung und Kartierung des Gebirges, wobei als bergsteigerisches Ziel auch die Besteigung des Batura I ins Auge gefasst wurde.

Die bergsteigerische Leitung oblag dem der legendären Innsbrucker Kletterer Hias Rebitsch, Expeditionsteilnehmer waren auch Anderl Heckmaier, Erstbegeher der Eiger-Nordwand und Martin Schließler, einer der besten Kletterer der damaligen Zeit. Vom Basislager in 3500 m wurde eine Route am Nordrand des sogenannten Batura-Eisfalls erschlossen. Obwohl die Mannschaft, die Lager 4 auf 6100 m errichtete, beim Abstieg nur knapp einer Lawine entkam, steigen schon am nächsten Tag zwei Bergsteiger und vier Träger wieder auf und errichten in 6700 Meter Höhe Lager 5. Der schwierigste Teil des Anstiegs liegt nun hinter ihnen aber das Wetter schlägt um und sie müssen absteigen. Nur mit Mühe erreichen sie Lager 4, wo sie auf Wetterbesserung warten. Große Mengen Neuschnee und Lawinengefahr lassen weitere Versuche am Hauptgipfel nicht zu, aber oberhalb von Lager 4 liegt ein 6784 Meter hoher Nebengipfel. Mit der Besteigung dieses Gipfels und einem eiligen Abstieg ins Basislager endet die erste bergsteigerische Unternehmung am Batura I.

 

Britisch-Deutsche Batura-Expedition 1959

Mit dem Eintrag einer Skibesteigung des Watzmann-Hocheck am 2. April 1959, einem Wiedersehensgruß an die geliebten Heimatberge und dem abschließenden Vermerk „Jetzt geht’s in das Abenteuer Himalaya“ endet das Tourenbuch von Albert Hirschbichler, damals einer der besten Kletterer des Berchtesgadener Landes.  

 

Am 11. April besteigen die Teilnehmer der British-Deutschen Himalaya-Expedition in Liverpool das Schiff nach Karatschi/Pakistan: Keith Warburton (31) – Leiter und zugleich Arzt der Unternehmung, John Edwards (26) – Vermesser und Glaziologe, die Bergsteiger Richard Knight (25) und Harry Stephenson (23) sowie die beiden Deutschen Martin Günnel (28) – Bergsteiger und Geologe und Albert Hirschbichler (27).

 

Mit dem Zug geht es weiter nach Rawalpindi. Dort müssen sie 17 Tage warten, bis das Wetter endlich den Weiterflug nach Gilgit ermöglicht. In Gilgit vergehen weitere vier Tage, dann endlich können die Bergsteiger samt Gepäck mit Geländewagen nach Karimabad transportiert werden. Das Gepäck wird auf Maultiere umgeladen und nach drei Tagen Fußmarsch erreichen sie den letzten Talort Passu im Hunzatal. Auf dem mächtigen Baturagletscher geht es mit Hilfe einheimischer Träger und Yaks als Tragtiere weiter und am 4. Juni errichten sie das Basislager am Fuß des Batura-Eisfalls – mit 18 Tagen Verspätung!

 

Die Expedition hält sich in etwa an die Route von 1954. Am Rand des Eisbruchs werden die Lager 1 und 2 in 4000 bzw. 4900 m Höhe errichtet. Schon die Begeher von 1954 hatten vor dem mächtigen und stark zerklüfteten Eisfall gewarnt. Das Eis dort bewegt sich zwischen sechs und zehn Meter am Tag, was eine ständige Neufindung der Aufstiegsroute bedingt und große Gefahren durch einstürzende Eistürme und neu aufreißende Spalten birgt. Das ganze Gebiet ist zudem stark gefährdet durch Lawinen die aufgrund der riesigen Flächen enorme Ausmaße erreichen. Nach 1959 hat es nie wieder eine Expedition an dieser Stelle versucht.

 

Am 23. Juni befinden sich Warburton, Günnel, Hirschbichler, Knight und Stephenson im gut mit Vorräten ausgestatteten Lager 3 in 5500 m Höhe. Man rechnet mit weiteren drei Lagern bis zum Gipfel und schätzt, dass man nach etwa 15 Tagen ins Basislager zurückkehren wird. Da sich die Lager 1 und 2 in dem stark veränderlichen Bereich des Gletscherbruchs befinden, nimmt man an, dass sie zum Zeitpunkt des Abstiegs zerstört sein werden. Edwards plant während dieser Zeit im Basislager seine wissenschaftlichen Untersuchungen durchzuführen.

 

Die Katastrophe

Bis zum 1. Juli herrscht gutes Wetter. Ein einheimischer Jäger berichtet Edwards, dass er am 28. Juni am Nordhang des Batura zwei Bergsteiger beobachtete, die etwa 500 m unterhalb des Gipfels aufstiegen. Am 2. Juli bricht schlechtes Wetter herein. Im Tal regnet es so heftig, dass Edwards vier Tage lang nicht aus dem Zelt kommt. An den folgenden Tagen donnern die Lawinen zu Tal. Was oben am Berg geschieht, kann er nicht erkennen, da der obere Bereich nur aus größerer Entfernung einsehbar ist und Wolken die Berge verdecken. Da nach dem 28. Juni noch weitere vier Tage schönes Wetter herrschte, nimmt er an, dass seine Kameraden den Gipfel erreichten und während des schlechten Wetters in einem der oberen Lager abwarten. Als Edwards am 19. Juli – solange reichten die Vorräte am Berg – immer noch nichts von seinen Kameraden gehört hat, wird er unruhig, geht aber davon aus, dass sie den Abstieg bewusst bis zu einer Wetterbesserung verschoben, um sich nicht den Lawinen auszusetzen. Als am 26.Juli die Wolken endlich die Sicht freigeben, kann er kein Lebenszeichen am Berg erkennen. Erst jetzt ist Edwards klar, dass ein Unglück geschehen sein muss.

 

So schnell wie möglich eilt Edwards daraufhin ins Tal nach Passu, wo er die Ereignisse meldet. In der Nähe halten sich gerade die Teilnehmer der „Deutschen Karakorum-Expedition 1959“ auf, unter ihnen Hirschbichler´s Bergkamerad Erwin Stocker. Die beschließen sofort, zum Batura-Muztagh aufzubrechen, um etwas über den Verbleib der Kameraden in Erfahrung zu bringen. Mehr als zwei Wochen dauert es aber, bis sie endlich das Basislager am Batura-Gletscher erreichen. Rechts des Eisfalls steigen sie über einen Felspfeiler hoch bis der Einblick in die riesigen Gletscherflächen des Batura I möglich wird. Die Suche mit Ferngläsern nach Lebenszeichen bleibt erfolglos. Kein Zelt, keine Spur, nur die Bahnen riesiger Lawinen. Ernüchtert kehren sie ins Tal zurück. „Unheimlich, mit welcher Vollständigkeit sich ihre Spuren am Berg verloren haben“ endet der Bericht der Suchmannschaft. Der Wettersturz hat fünf Bergsteigern das Leben gekostet. Im Eis des Batura fanden sie ihre letzte Ruhestätte. Bis heute sind sie verschollen.

Die Erstbesteigung des Batura I über eine Route auf der entgegengesetzten Seite des Berges gelingt erst 1976 einer Göppinger Expedition.

 

Verein Himalaya Karakorum-Hilfe e.V.

In den späten 1990er Jahren kam Barbara Hirschbichler, Tochter des Vermissten, die genau zu der Zeit geboren wurde, als die Kunde vom Tod des Vaters in Berchtesgaden ankam, anlässlich eines Pakistan-Aufenthalts zur Hochalm Yashpirt unter dem Batura I. Wie ihr die Einheimischen berichteten, stand die Bewirtschaftung der Alm infolge des klimabedingten Gletscher-Rückganges mit Folge Wassermangel kurz vor dem Aus. Spontan beschloss Barbara Hirschbichler, in der Heimat Spendengelder für eine Wasserleitung zu sammeln. Die „Wasserversorgung Yashpirt“ wurde zum ersten erfolgreichen Projekt des im Dezember 2000 gegründeten Vereins Himalaya-Karakorum Hilfe e.V. In den Folgejahren wurde eine Vielzahl weiterer Projekte realisiert. Zweck des Vereins ist die Förderung von Bildung, medizinischer Versorgung und einer allgemeinen Verbesserung der Lebensverhältnisse in den abgelegenen Gebirgstälern Nordpakistans. Das geschieht durch Bau von Schulen und Wohnheimen für Kinder und Jugendliche, Übernahme von Schulgebühren und dem Bau von Krankenstationen. Durch die Anlage von Kanälen und Wasserleitungen wird Problemen der Wasserversorgung entgegengewirkt und Plantagenwirtschaft ermöglicht. Im Falle von Naturkatastrophen, wie Erdrutschen oder Überschwemmungen die in Baltistan nicht selten vorkommen, wird finanzielle Hilfe für die Überlebenden wie auch für den Wiederaufbau von Häusern und Dörfern geleistet. Vereinseigene Jeeps übernehmen Krankentransporte aus den Tälern und diverse Versorgungsfahrten. Später wurde noch eine Trekking-Agentur gegründet (Shipton Treks & Expeditions), um die Einheimischen am Gewinn aus dem Tourismus teilhaben zu lassen. Dabei handelt es sich um eine „non-profit organization“, was bedeutet, dass jeglicher Gewinn nach Abzug der Löhne in die Projekte des Vereins fließt.

 

 

Literatur

John Edwards: Die Batura-Mustagh-Expedition 1959.

In: Berge der Welt. Zürich 1961, S. 106 f.   

Hans-Jochen Schneider: Die Deutsche Karakorum-Expedition 1959.

In: ebd, S. 86 f.

Batura 1. Erkundung, Erstbesteigung, Ereignisse siehe: www.himalaya-info.org

Verein Himalaya-Karakorum-Hilfe e.V. siehe: https://himkara.org

 

 

Bilder

 

1    Hochalm Yashpirt (3260 m). Im Hintergrund der höchste Gipfel des

      Batura-Muztagh (7795 m), Ziel der Britisch-Deutschen Expedition 1959

2    Aufbau eines Lagers

3    Schneebrücke über eine Gletscherspalte. In die Lager musste sämtliche Ausrüstung erst hochgeschleppt werden

4    Albert Hirschbichler im Eisbruch des Batura-Gletschers

5    Besprechung vor einem Hochlager

6    Eislawine in der Batura-Mauer

7    Der Batura I im letzten Licht.

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