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40 Jahre „Rettet Oberjettenberg“

- David gegen Goliath -

von Albert Hirschbichler und Fritz Derwart

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Der Artikel erschien am 21. 8. 2023 in den Heimatblättern des Reichenhaller Tagblatts 

 

Aus heutiger Sicht klingt die Vorstellung, dass auf den Bauernwiesen von Oberjettenberg Soldaten üben und Panzer rollen, ziemlich unvorstellbar.

In den 70er und noch in den 80er Jahren galt es dagegen noch als kaum vorstellbar, dass das Verteidigungsministerium in Bonn von seiner Entscheidung abgebracht werden könnte. Angefangen haben die Auseinandersetzungen um die Verlegung des Übungsplatzes im Kirchholz im Jahr 1968.

1977 stellte die Regierung von Oberbayern den Enteignungsantrag für zwei Bauernhöfe, 1978 wurde die Petition des Bundes Naturschutz im Landtag abgelehnt und 1982 entschied das Bundesverwaltungsgericht gegen die klagenden Bauern. Es stand wahrlich schlecht um ihre Sache, als am 22. August 1983 auf Initiative von Fritz Derwart die Bürgerinitiative „Rettet Oberjettenberg“ gegründet wurde. Dieser Initiative ist der Erhalt eines Stückes Heimat wesentlich zu verdanken. Im Mai 1987 billigte der Bundestag eine entsprechende Petition der Initiative und der Truppenübungsplatz verblieb im Kirchholz. Im Folgenden soll an die Ereignisse erinnert werden.

 

Oberjettenberg

Ein Idyll. Von der Abzweigung von der Wachterlstraße (B 305) ist es nicht mehr weit. Erst am Bach entlang führt das Sträßchen – Jahrhunderte lang gab es nur einen schmalen Feldweg – bis sich weiter hinten, unterm Kienbergl, das Tal weitet und sich eine Wiesenlandschaft auftut. Nicht weit oberhalb die 4-500 Meter hohen Nordabstürze der Reiteralm, die an schönen Sommerabenden nicht selten in einem wunderbaren Abendrot erstrahlen. Bis 1957 gab es dort drei Bauernhöfe: den Soder-, den Irgen- und den Hoisenbauer. Die alten Höfe ziemlich abgelegen, eine eigene Welt. Außerdem zwei Zollhäuser aus den 20er Jahren. Die hatte man errichtet um den blühenden Schmuggel zwischen Österreich und Bayern, besonders durch die Aschauer Klamm, zu unterbinden.

Wer früher im Sommer oder Winter auf die Reiteralm ging, der stellte sein Fahrrad beim Soderbauern ein. 1957 stand das Anwesen zum Verkauf. Eine Gesellschaft erwarb den Hof, um in dieser wundervollen Landschaft ein Kindergenesungs- und Erholungsheim zu errichten.

 

Der Bund übernimmt den Soderbauern

In den 50er Jahren, der Aufbauphase der Bundeswehr, suchte der Bund ein Gelände zur Erprobung von Waffen und Kriegsgerät im Gebirge. Man dachte an das Klausbachtal und/oder ans Wimbachtal beide gehörten dem Forst. Aus heutiger Sicht unvorstellbar, die Täler gehören seit 1978 zum Kerngebiet des Nationalparks Berchtesgadener Land! Während des 2. Weltkrieges wurden die beiden Zollhäuser in Oberjettenberg verkauft. Die Frau eines des Käufers war die Schwester des damaligen Wirtschaftsministers Ludwig Erhardt, der aus dem Grund öfters im Zollhäusl zu Gast war und dort seine Zigarren paffte. So erfuhr der Bund davon und es wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, den Verkauf rückgängig zu machen. Mit Erfolg. Auf diese Weise kam der Bund 1957 an das gesamte Anwesen des Soderbauern. Das war die Geburtsstunde der späteren WTD 52, allgemein nur „E-Stelle“ genannt. Der Soderbauer Michael Leitner bekam vom Bund ein Zweifamilienhaus in Jettenberg, außerdem erhielt er eine Leibrente und wurde als Wachmann eingestellt.

 

Erprobungsstelle 52

Das Gebäude des Soderbauern wurde zur ersten Dienststelle. In der Scheune war eine Schmiede und Schlosserei untergebracht. Dem Soderbauern als Wachmann folgten bald Sprengmeister, Munitionsfachleute und weitere Wachleute. Die Lagerung der angelieferten Munition unter Gebirgsbedingungen einschließlich deren Bewachung war eine wesentliche Beschäftigung. Überliefert ist die Ankunft des ersten Dienststellenleiters. Ein paar Jettenberger saßen gerade beim Schneiderwirt, den es schon lange nicht mehr gibt, beim Schafkopfen, als einer hereinkam, der sich als Kopp Sepp aus München, zukünftiger Dienststellenleiter in Oberjettenberg vorstellte und gleich beim Schafkopf mitmachte. In den ersten Jahren wurde ein Zaun um das ganze Gelände gebaut, beim Einrammen der Zaunpfähle war der Major Kopp an erster Stelle dabei. Und wenn es einmal regnete oder ein Gewitter aufzog, sagte er gern zu seinen Arbeitern. „Jetz bleib´n ma sitzn und dean no an Watterer bis´ aufhört, des hol ma leicht wieder nei“. Es war eine unbeschwerte Zeit. 1987 wurde die „Erprobungsstelle 52“ in „Wehrtechnische Dienststelle für Sprengmittel und Sondertechnik“ (WTD 52) umbenannt. Heute arbeiten dort etwa 150 Leute und es geht vermutlich weniger unbeschwert zu.

 

Die WTD 52

Die Wehrtechnische Erprobungsstelle. Was heute dort geschieht, weiß keiner so ganz genau. Alles Mögliche wird getestet, Sprengstoff, Waffen, Material aller Art, lange Stollen im Berg soll es geben. Manchmal hört man einen gewaltigen Wums aus dem Berg, irgendwas wird gesprengt, die größeren Bergstürze der letzten Jahre an der Alpawand, am Wagendrischelhorn und Häuselhorn haben

wohl nichts damit zu tun, aber genau weiß es niemand.

Überliefert ist, dass es einmal eine derartige Detonation gab, dass sowohl beim Irgen- als auch beim Hoisenbauern der Putz von den Wänden fiel und im Mauerwerk zentimeterbreite Risse entstanden. Der Schaden wurde auf Kosten des Bundes anstandslos behoben.

Viele Reichenhaller erinnern sich wohl auch noch an die zwei 60 Meter hohen Masten, die in den 80er Jahren weithin sichtbar auf den Randgipfeln aufgestellt waren. Dazwischen lief ein Seil von dem Sprengkörper oder was auch immer abgeworfen werden konnten. Die Masten, die Berg- und Naturfreunden ein Dorn im Auge waren, wurden schließlich wieder abgebaut. Nicht abgebaut wurden die breiten Fahrwege, die in dem früheren Almgelände angelegt wurden. Für die Natur ist das alles wenig erfreulich, wie man sich denken kann.

Neben der Wehrtechnischen Erprobungsstelle nutzt seit 1957 auch die Bundeswehr das Gelände am 1100 Meter höher gelegenen Plateau der Reiteralm zwischen Hirschwies und Schrecksattel. Anfänglich mussten Ausrüstung und Verpflegung zu Fuß auf die Reiteralpe transportiert werden. Aus dem Grund entschloss man sich bereits 1961, eine Seilbahn zu bauen. Seit der Fertigstellung im Jahr 1965 bildet diese das Verbindungsglied zwischen der E-Stelle im Tal und dem Plateau. Sie dient als Transportmittel für Erprobungsvorhaben wie auch für die übenden Einheiten der Bundeswehr. Da wäre es gerade recht gekommen, wenn man auch das Gelände im Tal in Beschlag hätte nehmen können.

 

Geplante Verlegung des Truppenübungsplatzes nach Oberjettenberg

Die Anfänge gehen bis ins Jahr 1968 zurück, als der Reichenhaller Oberbürgermeister Dr. Max Neumeyer (CSU) auf die Idee kam, den Truppenübungsplatz im Kirchholz nach Oberjettenberg zu verlegen.

Da kam eine Beschwerde aus Großgmain wegen der Lärmbelästigung durch den Bundeswehr-Übungsplatz im Kirchholz sehr gelegen. Vorwiegend auf Betreiben des damaligen Großgmainer Bürgermeisters beschwerte sich die österreichische Bundesregierung mit Erfolg in Bonn.

Auch wenn die Beschwerde nicht, wie böse Zungen behaupteten, auf Bestellung erfolgte, so kam sie doch gerade recht. In einem Leserbrief am 29.1.1970 im Reichenhaller Tagblatt bedankte sich der Reichenhaller Bürgermeister jedenfalls herzlich für die Schützenhilfe aus Österreich.

Im Juni 1968 erging auf Ersuchen der Staatskanzlei die Einladung zu einer Behördenbesprechung, in der es um die Frage ging, ob für den Übungsplatz Kirchholz ein anderes Gelände beschafft werden könne, da nach Meinung der Staatskanzlei die Auflassung des Übungsplatzes Kirchholz für Bad Reichenhall und andere Gemeinden nur günstig wäre. In dieser Besprechung, in der geklärt werden sollte, ob überhaupt ein Ersatzgelände gefunden werden könne, erklärte ein hoher Beamter des Wehrreferates – Ministerialrat Penzel – abschließend, die Staatskanzlei erwarte für ein Raumordnungsverfahren den Geländevorschlag Oberjettenberg.

Von der für den Übungsplatz vorgesehenen Fläche von 250 ha waren 4/5 Privateigentum, der Rest, ca. 50 ha, gehörten der Staatsforstverwaltung.  

Im Januar 1970 leitete die Regierung von Oberbayern das Raumordnungsverfahren ein, wobei 20 Verfahrensbeteiligte zur Stellungnahme aufgefordert wurden, nicht aber die hauptbetroffene Gemeinde Schneizlreuth.

 

Drohende Enteignungen

Mitte der 70er Jahre standen die Enteignungen an. Zwei Bergbauernhöfe (der Hoisen- und der Irgenbauer) in Oberjettenberg komplett und dazu noch 12 weitere Grundbesitzer von Jettenberg mit Teilflächen, darunter auch der Haiderhof am Beginn der Aschauer Klamm.

Als mit den Bauern über die Entschädigungssumme verhandelt werden sollte, lehnten es alle ab, auch nur einen Quadratmeter herzugeben. Aus zuverlässiger Quelle wurde in Erfahrung gebracht, dass man einem Jettenberger Bauern, Wald- und Wiesenbesitzer in Oberjettenberg, schon damals eine Million DM für seinen Grund geboten hätte. Das war mehr als viel Geld. Aber auch der gab nichts her.

Der Legende nach war der Irgenbauer gerade beim Mistbroatn (Mist-Ausbreiten), als ein Beamter der Enteignungsbehörde bei ihm am Feld erschien, um seine Zustimmung über die Höhe der Entschädigungssumme einzuholen. Als sich die beiden gegenüberstanden, nahm der Bauer wortlos seine Mistgabel und stieß sie zwischen sich und dem Beamten in den Boden, worauf der erschrocken einen Schritt zurücktat. Der Irgen tat einen Schritt nach vorn und stieß die Gabel erneut in den Boden. Und so ging das Schritt für Schritt bis sich der unerwünschte Abgesandte wieder aus dem Staub machte.

Als Bauer arbeite er für´s Leben, das Militär für den Tod, war seine Haltung. Und so war es für ihn nicht akzeptabel, dass ihm das Land, das er für seine Arbeit brauchte, genommen werden sollte. Subventionen, die ihm eigentlich zustanden, hatte er nie angenommen. Von den Erträgen konnte seine Familie, wenn auch bescheiden, leben. Alles andere interessierte ihn nicht. Er war der Irgenbauer, hatte sein Stück Land, seine Heimat und war mit seinem Leben zufrieden. Der Irgen war ein Mensch, wie sich zweifelsohne Ämter und Behörden Menschen nicht wünschen. Post vom Ministerium etc. öffnete er grundsätzlich nicht. „Wenn´s was wollen solln´s kommen“ meinte er. Aber auch wenn jemand Unerwünschter kam, war das wenig zielführend (siehe oben).

Einmal tauchte der Bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß selber in seinem vom Chauffeur gesteuerten Dienstwagen auf dem Gelände des Irgen auf und sprach ihn durch das geöffnete Autofenster an: „Sie müssen doch auch bald hier weg“. Der Irgen erkannte ihn nicht, die Aussage gefiel ihm auch nicht und so beachtete er den Franz Josef Strauß nicht weiter und ließ ihn einfach stehen.

 

Die Gerichte werden eingeschaltet

Natürlich wurden auch die Gerichte bemüht. Der Hoisenbauer Sebastian Lehmhofer hatte bereits vor den Entschädigungsverhandlungen Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht, ebenso wie die Gemeinde Schneizlreuth gegen das Land Bayern wegen Unrechtmäßigkeit der landesplanerischen Beurteilung wie auch gegen den Bund wegen Unrechtmäßigkeit der Vorhabensbezeichnung durch den Verteidigungsminister. 

In mühevoller Kleinarbeit hatte sich der damalige Schneizlreuther Bürgermeister Hans Huber sachkundig gemacht und die Argumente für die Prozesse vor den Gerichten formuliert. Sein früher Tod am 3.1.1985 bedeutete einen schweren Verlust für die Sache Oberjettenberg. Von ihm wurde u. a. dokumentiert, wie fehlerhaft die landesplanerische Beurteilung des Vorhabens Oberjettenberg war.

Wie Recht er hatte zeigte sich erst durch das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts vom 30.12.1986.

Wegen der damit gegebenen Gerichtsanhängigkeit setzte daraufhin die Enteignungsbehörde das Enteignungsverfahren gegen die im Juli 1978 geladenen Landwirte bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens aus.

Am 12.11.1982 entschied das Bundesverwaltungsgericht dann gegen die Kläger. 

Aber davor: Der Antrag der Gemeinde Schneizlreuth auf ein neues Raumordnungsverfahren im Jahr 1973 fand bei der bayerischen Staatskanzlei ebenso wenig Gehör wie eine Petition der Gemeinde im gleichen Jahr, die vom Ministerpräsidenten Goppel persönlich abgeschmettert wurde, u.a. mit dem Argument, dass sich im Raumordnungsverfahren die Zustimmung aller 21 befragten Behörden und Institutionen außer der Gemeinde Schneizlreuth und des Landratsamtes Berchtesgaden gezeigt habe. Was keineswegs den Tatsachen entsprach: Fünf Parteien waren dagegen, vier meldeten erhebliche Vorbehalte an, eindeutig für die Verlegung hatte überhaupt niemand gestimmt.

Da der Ministerpräsident außerdem die Meinung vertrat, dass die Angelegenheit allein Sache des Bundes sei, verfasste die Gemeinde Schneizlreuth 1974 eine weitere Petition an den Bundestag, mit der Bitte um Prüfung, ob das Gelände im Höllenbachtal nicht besser für den Truppenübungsplatz geeignet sei. Auch wurde darauf verwiesen, dass der Bundeswehr auf dem Plateau der Reiteralm ja ohnehin ein 450 ha großer Übungsplatz zur Verfügung stünde.

Auch diese Petition wurde abgewiesen mit der Begründung, dass das Gelände im Höllenbachtal in Privatbesitz stünde und außerdem eine Nutzung des Geländes auf der Reiteralpe für den Ausbildungs- und Übungsbetrieb der Truppe nicht möglich sei. Auch das war falsch: Tatsächlich gehörte das Höllenbachgelände dem Forst und der damalige Kasernenkommandant Gerstner hatte bereits 1968 erklärt, dass die Gebirgsausbildung der Truppe auf der Reiteralm stattfindet. Ein weiteres krasses Fehlverhalten war, dass die Bayerische Staatskanzlei bereits 1969 von der Bundeswehr gebeten wurde, vor der „Haupterkundung“ die Stellungnahme der Gemeinde Schneizlreuth einzuholen, was nie geschah.

 

Bürgeraktion “Rettet Oberjettenberg“

Es war ein schöner Sommertag 1983, als der Hoisenbauer dem Derwart Fritz, der beim Heumachen helfen wollte, sein Leid von der drohenden – genauer gesagt bevorstehenden – Enteignung klagte. Das durfte doch nicht wahr sein! dachte sich der Fritz. Jahrhundertealte Bauernhöfe enteignen, das war Heimatvertreibung! Panzer in einem landschaftlichen Kleinod, was soll das! Bad Reichenhall: die Vorteile einer Garnisonsstadt dankbar annehmen, die Nachteile an eine Nachbargemeinde abgeben. Dagegen musste unbedingt etwas unternommen werden! Klar war: Allein ist da nichts zu machen. Die Ausgangslage war nicht gerade ermutigend. Auf der Gegenseite stand der Bund, die Bayerische Staatskanzlei und die Bundeswehr. Aber rasch fanden sich Gleichgesinnte.

Am 22. August 1983 wurde im Poststüberl in Reichenhall die Bürgeraktion „Rettet Oberjettenberg“ gegründet.

Die geplante Verlegung des Truppenübungsplatzes zog sich mittlerweile fünfzehn Jahre hin. In der Öffentlichkeit bestand ein erhebliches Informationsdefizit infolge widersprüchlicher Nachrichten und Informationen in der Presse und anderen Kanälen. So lautete die Devise der Bürgeraktion: Aufklären und Informieren!

 

Der Widerstand formiert sich

In der Folgezeit formierte sich der Widerstand unter Federführung der Bürgeraktion, der juristische Rechtsstreit lief weiterhin auf der Schiene Schneizlreuth und den klagenden Bauern.

Am 1.12.1983 fand eine Bürgerversammlung im Kurhaus statt, in der mit großer Mehrheit beschlossen wurde, dass die Sache Oberjettenberg vom Stadtrat zu behandeln und der Bürgerwille gegen eine Verlegung des Truppenübungsplatzes zu respektieren sei. Erwartungsgemäß lehnte der Oberbürgermeister die Eingabe ab mit dem Hinweis, Oberjettenberg sei keine Sache des Stadtrats.

Eine Woche später, am 9.12., veranstaltete die Bürgerinitiative ein großes Treffen im Bürgerbräu mit Podiumsdiskussion. Hohe Militärs und politische Entscheidungsträger waren der Einladung gefolgt und viele Bürger machten von ihrem Rederecht Gebrauch.

Weitere Bürgerversammlungen fanden im November 1984 und Oktober 1985 statt. Als der Gründer der Bürgeraktion Fritz Derwart 1984 nach Wiederholung der Argumente erneut den Antrag zur Vorlage beim Stadtrat stellen wollte, ließ der Oberbürgermeiser die Abstimmung diesmal gar nicht zu. Es kam zum Eklat und viele Anwesende verließen unter Buhrufen den Raum. 1985 wurde der Antrag zum dritten Mal eingebracht.

 

Verzögerungstaktik der Behörden

Vermutlich aus wahltaktischen Gründen wurden gesetzlich vorgegebene Fristen zur Behandlung der Sache so lange hinausgeschoben, dass sich die Bürgeraktion entschloss, eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Oberbürgermeister einzureichen. Da der damalige Landrat Seidl auf die an ihn überstellte Beschwerde nicht reagierte, wurde auch gegen ihn eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Eine Antwort kam erst, als der Landrat von höherer Stelle angemahnt wurde, die Sache zu „verbescheiden“, ansonsten eine Verurteilung durch das Verwaltungsgericht drohe.

 

Die Hoffnung schwindet

Obwohl sich die Landtagsabgeordneten Gustaf Starzmann (SPD) und Franz Xaver Werkstätter (CSU) für eine neuerliche raumordnerische Überprüfung eingesetzt hatten, kam die Bayerische Staatsregierung dieser Empfehlung nicht nach. Ende 1984 gab es eigentlich keine Hoffnung mehr, von dieser Seite Beistand in der Sache Oberjettenberg zu erhalten. Franz Josef Strauß sah keine Möglichkeit (oder wollte keine sehen), den Verteidigungsminister Wörner von seinem Vorhaben abzubringen.

 

Die Wende

Als letztes startete die Reichenhaller Bürgerinitiative eine Petition an den deutschen Bundestag. Auf neun Seiten wurde das Anliegen der Bürgeraktion noch einmal verdeutlicht, wobei unter anderen die Missstände bei den Modalitäten des Raumordnungsverfahrens ebenso wie die Zurückweisung der Schneizlreuther Petition von 1974 noch einmal erläutert wurden. Auch wurde der Petitionsausschuss ersucht, er möge sich doch selber ein Bild machen.

Dieser Petition schlossen sich 41 Mitstreiter aus Nah und Fern (z.B. das Konrad Lorenz Volksbegehren, die Gemeinde Unken und viele andere) an. Und was keiner für möglich hielt: Die Sache wurde angenommen und ein Ortstermin für den 8.10.1985 bestimmt. An dem Tag inspizierte die Vorsitzende des Petitionsausschusses MdB Frau Liselotte Berger das Gelände vom Hubschrauber aus. Im abschließenden Gespräch aller Teilnehmer in der Kaserne ging Frau Berger nicht gerade zimperlich mit den Kasernen-Oberen um und hielt auch nicht mit ihrer Meinung hinterm Berg, dass sie unter Berücksichtigung der ihr nun zur Verfügung stehenden Informationen das Übungsgelände im Kirchholz für geeigneter halte.

 

Der Protest-Maibaum1986

Vom Jettenberger Dusenbauer Toni Bichler, einem leidenschaftlichen Mitstreiter, kam der Vorschlag, am 1. Mai in Oberjettenberg einen „Demo-Maibaum“ aufzustellen. Er selber würde den Baum spendieren, sowohl die Trachtler, als auch die Jettenberger Blasmusik wären dabei. Und so wurde von der Bürgeraktion die Veranstaltung „Bürger radeln für Oberjettenberg“ organisiert. Am Florianiplatz ging es los, die Band „Take Seven“ spielte zum Auftakt. Bei den Radlern fuhr dann die Polizei voraus, ein Sanka war auch dabei und ein Lastwagen mit Werkzeug für die Baumaufstellung, auch einige Fassln Bier waren geladen. Und so wurde es bei Sonnenschein ein höchst gelungener Nachmittag. Die Musi spielte und die Trachtler stellten den bewusst nicht geschmückten Protest-Maibaum auf. Dafür wurde eine vom Reichenhaller Bildhauer Bruno Karbacher gestaltete Tafel „Zur Mahnung und Umkehr“ enthüllt. Ein Gewitterregen, der, was noch keiner wusste, die radioaktive Strahlung von Tschernobyl verbreitete (GAU am 26.4.1986), beendete abrupt die Festivitäten.

 

Beschluss im Sinne der Petenten

Am 10.12.1986 befasst sich der Bundestag mit der Petition der Bürgeraktion „Rettet Oberjettenberg“ und beschließt im Sinne der Petenten.

Somit endete ein 5jähriger Kampf der Bürgerinitiative und ein fast 20jähriger Kampf der betroffenen Bauern. Die Enteignungen wurden eingestellt. Was es für heimatverbundene Bauern heißt, beinahe zwanzig Jahre in Angst vor Enteignung leben zu müssen, ohne zu wissen wie es dann weitergehen soll, das kann man sich wohl nur als Betroffener vorstellen. Die Solidarität vieler Jettenberger, das Engagement der Bürgerinitiative mit vielen Mitstreitern und auch die gesamtpolitische Lage, das (vorübergehende) Ende des kalten Krieges, waren ausschlaggebend für diese Wendung, an die kaum noch einer geglaubt hatte.

David hatte sich gegen Goliath durchgesetzt, was eher selten vorkommt.

 

 

In Memoriam

an die Hauptbetroffenen, die sich nicht unterkriegen ließen:

Sebastian Lehmhofer (Hoisenbauer)

1924 – 2000

Martin Leitner (Irgenbauer)

1912 – 1989

 

Literatur:

Derwart Fritz: Denkschrift „Rettet Oberjettenberg!“ (2011)

Hofmann Fritz: 100 Jahre Schneizlreuth (2009)

 

Dank an einige heimatverbundene Jettenberger, die sich noch gut an die Sache erinnern konnten, für die Informationen

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Bilder 

1   Gelände des geplanten Truppenübungsplatzes in Oberjettenberg

2   Historische Aufnahme vom Anwesen des Soderbauern

3   Vertreter der Bundeswehr inspizieren das Gelände des geplanten Truppenübungsplatzes.  

       In den Bauernhöfen wollte man nach Enteignung den Häuserkampf üben

4   „Bürger radeln für Oberjettenberg“, eine Initiative der Bürgeraktion „Rettet Oberjettenberg“.

5    Die Musi spielt beim Aufstellen des Protest-Maibaumes 1986 

6    Jetzt steht er gleich, der Maibaum

7   Die Bauernhöfe in Oberjettenberg heute

8   Heumahd in Oberjettenberg. Dort hätten Panzer rollen sollen

9   Nach vielen Jahren fiel er um, der Protest-Maibaum. Der Nachfolger des Hoisen barg das

      vom Reichenhaller Künstler Bruno Karbacher gefertigte Schild

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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