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An anderer Stelle bezeichnete ich einmal das Ebike-Wesen als vorläufig letzte Stufe der Degeneration des Homo erectus.

So würde ich heute nicht mehr sagen, aber seltsam ist es doch, wenn man als sogenannter Behinderter nur noch (nichtbehinderte) Radfahrer mit Elektromotor (sogenannte "Ebiker") sieht. Keiner schnauft mehr, keiner schwitzt mehr, keiner strengt sich noch an. Was ist bloß aus dem Radsport geworden? Dazu einige Gedanken:

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Ein Behinderter wundert sich:

Wo sind dir richtigen Radfahrer geblieben?

Kaum noch Radler ohne E-Motor anzutreffen.

Der Beitrag erschien am 26. 10. 2023 im Reichenhaller Tagblatt

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PNP (Passauer Neue Presse = Reichenhaller Tagblatt)

A: Albert Hirschbichler

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PNP: Warum fährst Du Handbike?

A: Na ja, das ist jetzt mehr als 25 Jahre her. Einmal beim Klettern nicht aufgepasst und schon liegt man 30 Meter tiefer. Keine Selbstverständlichkeit, dass man das überhaupt überlebt. Aber die Wirbelsäule bekam einen Knacks, von dem sie sich nicht mehr erholt hat. Querschnittlähmung nennt man das. Die Beine funktionieren nicht mehr.

 

PNP: Für einen Sportler sicher eine Katstrophe.

A: Ja das kann man laut sagen. Am Anfang dachte ich, dass es gescheiter gewesen wäre, wenn ich gleich im Jenseits gelandet wäre.

 

PNP: Kann ich mir vorstellen. Aber Du bist immer noch hier.

A: Ja, jetzt bin ich eher froh drüber.

 

PNP: Wie hast Du das geschafft?

A: Ich war dann ein paar Jahre beleidigt, bin zwar zur Arbeit gegangen in die Klinik, hab aber jede Form von Sport abgelehnt. Behindertensport, dachte ich, das ist nichts für mich. Aber dann ergab es sich, dass ich mal so ein Handbike zum Probefahren bekam. Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust, aber ich wollte den nicht enttäuschen, der das organisiert hat. Das war übrigens der Lotz Karl, dem bin ich heute noch dankbar.

 

PNP: Und hat es dir gefallen?

A: Von Anfang an. Aus eigener Kraft unterwegs sein. Weite Strecken. Eine neue Erfahrung. Davor kam ich bei meinen Krückenübungen nur so 30 Meter vom Auto weg.

 

PNP: Und dabei bis du geblieben?

A: Ja, am Anfang kam ich nicht besonders weit, und bergauf schon gleich gar nicht. Aber das wurde bald besser. Im zweiten Jahr kam ich dann immerhin zur Litzlalm hoch und bald auch zur Stoißer Alm am Teisenberg. Bei beiden geht´s ganz schön steil rauf.

 

PNP: Hat sich dein Blick auf den Sport als Rollstuhlfahrer verändert?

A: Ich war ja vor dem Unfall ein begeisterter Kletterer und Skitourengeher. Aber mit dem Handrad komme ich auch ganz gut in der Gegend herum, sogar ins Gebirge. Halt nicht mehr ganz hinauf, aber da war ich ja früher. Und im Winter gibt’s Schlittenlanglauf und Monoski. Langlaufen mit Armkraft und Skifahren in einer Sitzschale. Ersteres echt mühsam, das Zweite mit Liftunterstützung weniger. Aber alle drei kann man schon als richtige Sportarten bezeichnen. Ich hab´ eine Freude damit. Es ist jedenfalls gescheiter als mich zu ärgern was nicht mehr geht.

 

PNP: Gibt es für so ein Handbike keinen elektrischen Motor zur Unterstützung?

A. Doch aber das will ich nicht. Da bin ich etwas komisch, vielleicht antiquiert.  Ich denke, wenn ich schon Rad fahre will ich selber fahren, aus eigener Kraft und nicht mit einem Motor. Auch wenn das langsamer geht.

 

PNP: Aber du könntest es wesentlich bequemer haben.

A: Zweifelsohne. Aber zum Radfahren gehört doch auch, dass man sich ein bisschen plagt. Besonders bergauf. Wenn ich mit dem Handradl unterwegs bin sehe ich die, die mich überholen: Keiner schnauft mehr, keiner schwitzt mehr, keiner strengt sich noch an. An jeder Steigung hört man nur noch das leise Surren der Elektromotoren. Jeder kommt überall hin. Ich denke das ist Verrat an der Sache des Radsports. Richtige Radler sieht man kaum noch. Früher hat man halt mal geschoben wenn´s steil war.  

 

PNP: Aber du könntest doch viel weiter kommen mit einem Akku.

A. Ich will aber gar nicht weiter kommen. Da hab´ ich übrigens schon lustige Sachen erlebt. Zur Kühroint bin ich auch mal raufgefahren. In der Benzinkurve kam einer von unten daher in einer affenartigen Geschwindigkeit, am Radl zwei Gepäcktaschen. Da hatte er die Reserveakkus drin. Beim Wechseln erzählte er, dass er an dem Tag schon auf der Litzlalm und auf der Gotzenalm war, wenn ich mich recht erinnere. Er fuhr dann weiter, dass der Sand nur so spritzte. Ein lustiger Bursche. Ich sah ihn dann aber nicht mehr.

 

PNP: Wie weit fährst du denn an einem Tag mit dem Handrad?

A: So 30 bis 50 Kilometer, das reicht eigentlich, manchmal aber auch viel weiter.

 

PNP: Und wie schnell geht das?

A: Da kann ich nicht viel sagen. Ich hatte mal einen Tacho, aber der gab bald den Geist auf. Seitdem fahr´ ich ohne, weil mir die Zeit eh ziemlich egal ist. Viel wichtiger ist eine schöne Landschaft und dass irgendwo ein Weißbier zu kriegen ist, und eine Kaspressknödelsuppe.

 

PNP: Bergauf fahren nur mit Armkraft, ist das nicht mühsam?

A: Zweifelsohne. Aber das gehört doch so. Auf´s Kitzbüheler Horn fuhr ich auch mal. Weiter oben, wo es wirklich steil ist, überholte mich eine Dame – und nicht gerade die schlankste – mit gefühlt 20 km/Stunde. Natürlich steht es der frei, da zu fahren, aber der sportliche Wert des steilsten Radberges Österreichs – so die Fremdenverkehrswerbung – geht so doch eindeutig gegen Null. Jeder kommt überall hin. Das ist irgendwie schon seltsam. Mit Sport hat das aber doch überhaupt nichts mehr zu tun.

 

PNP: Die Zeiten ändern sich.

A: Eindeutig. Übrigens hat man sich beim Alpenverein schon vor hundert Jahren Gedanken gemacht über echten Sportsgeist und gewisse Erscheinungen im Gebirge. Die „Tölzer Richtlinien“ von 1923 behandeln zeitlose Fragen: sollen die Berge ein Handlungsraum für Kompetente sein oder eine Spielwiese für jedermann? Welchen Grad von Komfort und Bequemlichkeit darf man sich im Gebirge erwarten? Das kann man auch auf´s Radfahren anwenden.

 

PNP: Weitreichende Fragen.

A: Alles was leicht geht, verliert an Wert. Ich denke, die Leute verbauen sich Erfahrungsmöglichkeiten. „Ich hab´s geschafft“, da konnte man früher stolz drauf sein. Wie ist das heute? Da fehlen nur ein paar Stricher´l am Akkustand. Unter bestimmten Umständen kann man sich ja so ein Ebike anschaffen. Wenn man älter ist oder krank oder sonst irgendwie eingeschränkt. Ich wundere mich nur in welchem Ausmaß bei vielen für die das nicht gilt der Sportsgeist gegen die Bequemlichkeit den Kürzeren zieht.

Aber manchmal treffe ich immer noch Leute, die ohne Akku in den Bergen unterwegs sind. Viele sind es nicht mehr, aber ich freue mich jedes Mal, wenn ich welche sehe.

 

PNP: Was wäre deiner Meinung nach wünschenswert?

A: Eine gewisse Selbstbeschränkung würde nicht schaden. In den Bergen würde es gleich ruhiger zugehen und die Menschen könnten wieder stolz darauf sein, was sie aus eigener Kraft geschafft haben. Auch wenn das länger dauert und mühsamer ist, aber die Tage sind ja lang genug. Na ja, irgendwann kaufe ich mir auch ein Ebike, aber solange es noch so geht fahr´ ich lieber so.

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Bild:

Immer wieder schön wenn man oben ist. Stoißer Alm zum 12. 

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