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Kitzbühler Horn und anderes

Pfingsten hatten wir Veit in seiner Heimat, dem Elbsandsteingebirge, besucht. „Vielleicht wird´s ja doch was mit einem Gegenbesuch im Berchtesgadener Land. Die Rossfeld-Höhenringstraße und das Kitzbühler Horn warten…“ so die letzten Worte meines damaligen

Erlebnisberichts.

Und unternehmungslustige Handbiker braucht man nicht lang betteln. Anfang August wurde als Termin vereinbart. Zwei Freunde von Veit wollten auch dazu stoßen, mussten aber leider absagen.

Am Mittwoch reiste Veit an und bezog Quartier in einem Campingplatz in Berchtesgaden. Er kam aus den Dolomiten, wo er die Tage zuvor schon einige Pässe und tausende Höhenmeter mit dem Handrad hinter sich gebracht hatte. Toni und seine Frau Gitti hatten erst ab Freitag Zeit. Pünktlich wie immer kommen die beiden zum vereinbarten Treffpunkt. Wer nicht kommt ist Veit. Ein Telefonanruf ergibt, dass er von einer Stunde später ausging und noch zwischen Lofer und Reichenhall unterwegs ist.

Natürlich fuhr er nicht die kürzeste Strecke nach Reichenhall über den Hallthurmer Berg – meine Empfehlung – sondern über Ramsau, den Pass Hirschbichl und Lofer. Am Pass Hirschbichl warten Steigungen mit 27% auf den geneigten Radfahrer bzw. Handbiker. Diese und 70 Kilometer hatte Veit bereits in den Armen als er schließlich auch daherkommt. Am Vortag war er erst mal vom Campingplatz in die andere Richtung gestartet und hatte über Hallein und den Wiestalstausee nach Salzburg und Reichenhall eine Runde mit 110 Kilometern und über 1300 Höhenmetern zusammengebracht. Wo nimmt der Mensch die Energien her?!

Wie dem auch sei, jetzt ist auch er da und es gibt erst einmal ein Eis für alle. Zur Einstimmung fahren wir danach zum Aussichtspunkt Wolfschwang und besprechen bei einem Weißbier auf der Aussichtsterrasse das Programm für die nächsten Tage. Das Rossfeld und das Kitzbühler Horn sind erstrangige Ziele. Veit will am nächsten Tag einen Ruhetag einlegen, was einen nicht zu wundern braucht.

Ich mache den anderen ein Projekt schmackhaft, das mir schon länger im Kopf umgeht. Und zwar die Auffahrt von Waidring auf die Steinplatte mit anschließender Abfahrt durch das Unkenbachtal.

Am nächsten Tag um 8 Uhr starten wir zunächst mit den Autos nach Unken. An der Einmündung des Unkenbachtales, dem Endpunkt der Runde, geht’s los. Zunächst auf dem Radweg nach Lofer und entlang der Strubach nach Waidring. 20 Kilometer und 200 Höhenmeter gerade richtig zum Einfahren. Ab da ist Schluss mit lustig!

Für Masochisten: Von Waidring auf die Steinplatte

Vier Kilometer mit durchwegs 15 Grad Steigung, teilweise mehr, liegen vor uns. Im „quäldich“ Pässelexikon steht was von „kurz aber äußerst knackig… permanent gnadenlos steil“. Fünf Härtepunkte werden vergeben. Aber das lesen wir erst hernach.

Ich kenne die Straße vom Hochfahren mit dem Auto. Steil geht’s hoch, das merkt man auch im Auto. Aber wie steil, das erschließt sich hautnah nur dem Handbiker. Und es lässt nicht nach. In Etappen kommen wir höher. Endlich die erste Kehre! Mit dem Auto hat man den Eindruck dass es nicht mehr weit ist bis hinauf. Mit dem Handbike hat man diesen Eindruck leider nicht. Es zieht sich, wird zunehmend mühsam. Aber Toni ist ein Kämpfer und ich scheine heute einen guten Tag zu haben.

In der vorletzten Kehre pausieren wir. Beide fühlen wir uns ziemlich matt. Erst einmal trinken! Jetzt oder nie: Ausnahmsweise nehme ich meine mitgeführte Energie-Paste ein. Ich erinnere mich: Vor ein paar Jahren fuhr ich mal die Glocknerstraße hoch. Vom Handrad aus sieht man mehr, Blumen am Weg aber auch Abfälle. Ich wunderte mich damals über die vielen Zahnpasta-ähnlichen Tuben am Straßenrand. Damals kannte ich die Dinger noch nicht, dachte mir Unverschämtheit, dass die in den Wohnwägen sich unterm Fahren die Zähne putzen und die Tuben einfach aus dem Fenster werfen. Heute weiss ich mehr, nämlich dass es sich um Power-Pasten-Tuben aller Art handelte, die von den Radfahrern, die am Glockner in beträchtlicher Anzahl unterwegs sind, in erheblichen Mengen verbraucht und natürlich gleich entsorgt werden. Nun gut, auf besonders anstrengenden Touren führe ich mittlerweile auch so eine Paste mit. Ich presse mir das süßlich pappige Zeug in den Rachen, nachtrinken, weiter geht’s!

Noch eine Kehre und die letzte Gerade zum Parkplatz hoch, die Steilheit lässt nicht nach. Mühsam, aber schließlich doch die letzten Meter, wir sind oben! Zumindest am großen Parkplatz.

Ganz oben, von wo es nur noch runtergeht sind wir noch nicht. Ein für den öffentlichen Verkehr gesperrtes Sträßchen führt weiter, auch das ziemlich steil. Bei der Stallenalm wird’s

Kurz flach, wunderbar, dann die letzte Steigung mit etwa 15%. Jetzt reicht´s aber wirklich! Mit Hilfe meiner Zaunpfostentaktik kommen wir aber da auch noch hinauf. Die Taktik besteht darin, immer von einem Zaunpfosten zum nächsten zu fahren, ca. 20 Meter, Verschnaufen usw… Auch das geht vorüber und wir erreichen den höchsten Punkt auf 1500 Meter Höhe.

Auf einer kleinen Sandstraße bergab kommen wir nach wenigen Minuten zur Möseralm, höchste Zeit für eine ordentliche Pause! Es folgt die Abfahrt zur Winklmoosalm und durch das Unkenbachtal. Mindestens 20 Kilometer nur bergab, in einer wundervollen Landschaft. Der angemessene Lohn für die Auffahrtsmühen. Froh, dass die Sache so gut geklappt hat, kommen wir wieder beim Auto an.

Für den nächsten Tag ist die Rossfeld-Höhenringstraße geplant, ca. 1000 Höhenmeter. Zum Glück regnet es und wir können einen Ruhetag einlegen, was viel gescheiter ist. Nur Veit startet, als es um 15.00 Uhr endlich aufhört. Natürlich fährt er ganz hinauf, und das über die steilste Variante, von Berchtesgaden aus.

Kitzbüheler Horn – Stirb langsam


Nach der gestrigen kurzen Unterbrechung dieses Traumsommers ist am Morgen wieder das schönste Wetter. Heute wird es ernst: „Mythos Kitzbüheler Horn. Der steilste Radberg Österreichs“ steht in der Fremdenverkehrsreklame. Die Fakten: Ausgangsort Kitzbühel 750 m, Alpenhaus 1670 m, Gipfel 1970 m. Gesamtanstieg 1250 Hm. Mautstraße bis zum Alpenhaus, 18 Kehren, Durchschnittssteigung 12,5%, maximal 22,3% . Willensstärke erfordert besonders die lange Gerade von der Goinger Alm zum Almgelände unterm Alpenhaus mit einer Steigung von nicht unter 16%. Dort oben, auf den letzten 1,5 Kilometern warten auch die steilsten Passagen mit, wie gesagt, 22,3%.

Vom Alpenhaus zum Gipfel wird’s auf einem schmalen Sträßchen, asphaltiert, nur für Fußgänger bzw. Radfahrer (und Handbiker), noch steiler: Durchschnittssteigung etwa 15%, kurze Rampen bis 25%. Für die Schönheits- wie auch Härtewertung gibt’s bei „quäldich“ jeweils 5 Punkte. Schon mehrfach war das Alpenhaus am Kitzbüheler Horn die Königsetappe der Österreich Radrundfahrt. Heuer fuhren die Profis nach Start in Lienz und vorheriger Befahrung des Iselsberges und des Großglockners hinauf (166,8 km, 3721 m)!

Uns reicht es aber sicher auch so. Ich war schon mal mit dem Handrad oben aber das ist lang her und ich erinnere mich an beträchtliche Mühseligkeiten.

Nach einer Stunde Anfahrt kommen wir in Kitzbühel an. Da Veit, der sein Lager in Berchtesgaden erst in der Früh abgebrochen hat, noch etwas frühstücken will und wir davon ausgehen dass er uns sowieso gleich wieder einholen wird, fahren Toni und ich mit den Frauen, mal langsam los. Nach zwei Kilometern kommen wir zur Maut, wo ich beim letzten Mal die erste Pause einlegte. Heute läufts aber bestens und wir fahren gleich weiter. Immerhin 250 Höhenmeter liegen bereits hinter uns.

Kein Wölkchen steht am Himmel, und dementsprechend brennt die Sonne herunter. Die gibt ihr bestes, uns Handradfahrer, die wir da in 150 Millionen Kilometer Entfernung an einer Auffaltung der Erdkruste an der Kurbel drehen, auszudörren, auszutrocknen. Bei Temperaturen um 30 Grad rinnt der Schweiß in Strömen, nichtsdestotrotz (ein schönes Wort) kommen wir Stück für Stück höher. Die Taktik: Fahren bis die Arme unmissverständlich das Bedürfnis nach einer Pause signalisieren, stehen bleiben, Bremse ziehen, verschnaufen, weiter… In den kurzen Pausen erholen sich die Arme durchaus erfreulich. Müdigkeit verspüre ich nicht, eher Kampfgeist.

Nicht wenig Radfahrer sind unterwegs. Die sind natürlich viel schneller, auch wenn sich viele offensichtlich kaum weniger plagen als wir. Die meisten sagen was im Vorbeifahren: „Bewundernswert“, „super“, „tolle Leistung“, „Respekt“ usw. Bemerkenswerterweise kommt man beim Handradfahren in 2 Stunden zu mehr positiven Rückmeldungen als in 25 Jahren Beschäftigung im Öffentlichen Dienst.

Schließlich die besagte Gerade kurz vor dem Alpenhaus, deren Mühseligkeit wohl niemand, der dort mal mit dem Handrad unterwegs war, vergessen wird. Nach einer kurzen Pause gehen wir sie an, zweifelsohne mühsam ist sie auch heute. Endlich kommen wir zum Almgelände, ein paar Kehren noch, dann haben wir das Alpenhaus erreicht.

Eine Pause ist wohlverdient und nach einiger Zeit kommt auch Veit daher, dem die Hitze offenbar ziemlich zu schaffen machte. Auch seine gestrige Fahrt auf´s Rossfeld steckt ihm noch in den Knochen. Egal, der Mensch ist unverwüstlich!

300 Höhenmeter fehlen noch zum Gipfel. Frisch gestärkt machen wir uns auf den Weg, der mit einer kurzen außergewöhnlich steilen Rampe beginnt. Über einige Serpentinen geht’s hinauf, durchwegs steil, aber die wundervolle Aussicht lässt die Mühen vergessen.

Schließlich das Wirtshaus mit Aussichtsterrasse gleich unterm Gipfel. Aber erst müssen wir ganz hinauf. Zwei kurze steile Rampen führen noch weiter zum höchsten für Handradfahrer erreichbaren Punkt. Der wenige Meter höher gelegene Gipfel ist leider nur Fußgängern über eine Treppe zugänglich, aber das können wir verschmerzen.


Nun steht der Einkehr nichts mehr im Weg! Der hütteneigene Alleinunterhalter, ein lustiger Bursche mit Zieharmonika, ehrt uns mit dem Song „ja mir san mit´m Radl da“. Und das Weißbier schmeckt nie besser, als wenn man zuvor einen Berg hinaufgefahren ist. Drei Handradfahrer auf einmal hat das Horn noch nie gesehen! Längere Zeit sitzen wir oben und freuen uns.

Die Abfahrt läuft glatt, außer dass Toni wegen Überhitzung der Felge einen Platten hinnehmen muss. Langsam kann er aber weiter fahren. Glücklich kommen wir bei den Autos an. Eine große Anstrengung und ein ebensolches Erlebnis sind wieder einmal vorbei.

Was noch zu sagen wäre: Invalide kommt vom Lateinischen „invalidus“ was soviel bedeutet wie „kraftlos, schwach, kränklich“. Wenn man aber nur mit Armkraft aufs Kitzbüheler Horn hinaufgefahren ist, hat man jedenfalls gleich einen Grund weniger sich für „invalidus“ zu halten. Vor elf Jahren war ich schon mal oben. Damals war ich vollständig erledigt, nicht zu vergleichen mit heute. Wenn man bedenkt wie viel Geld für dieses sogenannte „Anti aging“ verplempert wird, Leute, da gibt’s was viel gescheiteres und kostengünstiger auch: Handbike fahren!

Bilder

1 Alpenhaus (1670 m) am Kitzbüheler Horn

2 Geschafft (Toni, Gitti, meine Wenigkeit, Ingrid, Veit)

3 Am Gipfel (1970 m) steht ein Riesensendemast

4 Für Frauen durchaus interessant. So einen Handradfahrer sieht man nicht alle Tage

5 Abfahrt über die Auffahrtsstrecke

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