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Anmerkung

Der Beitrag erschien in verkürzter Form im Alpenvereins-Jahrbuch 2003 sowie ebenfalls verkürzt

in den Heimatblättern des Reichenhaller Tagblatts am Samstag 23. Februar 2013 (Teil 1) sowie Ostern 2013 (Teil 2). 

Geschichte des Kletterns in den Berchtesgadener Alpen
 

 

Allgemeines
 

 

Unter Berücksichtigung allgemeiner gesellschaftlicher und kulturgeschichtlicher Zusammenhänge kann die Alpinismusgeschichte von ihren prähistorischen Anfängen bis zum zeitgenössischen Alpinismus in fünf Epochen eingeteilt werden. Mit Seitenblicken auf wegweisende Erstbegehungen in den Alpen in den jeweiligen Zeitabschnitten geht es im folgenden Beitrag um die umfassende Darstellung der Erschließungsgeschichte einer Gebirgsregion, die Alexander von Humboldt in einem Reisebericht als eine der schönsten Gegenden der Welt bezeichnete: der Berchtesgadener Alpen.

Die Darstellung geschichtlicher Zusammenhänge und wegweisender Erstbegehungen außerhalb der Berchtesgadener Berge orientiert sich am „Kompendium Bergsteigen“ des DAV (1997), das bisher nicht veröffentlicht ist.
 

 

Die Berchtesgadener Alpen
 

 

Berchtesgadener Alpen: So wird die zu den Nördlichen Kalkalpen zählende Hochgebirgsregion genannt, die weit über das eigentliche Berchtesgadener Land und die Landesgrenze hinaus noch ein gutes Stück ins Salzburger Land hineinreicht. Zu den „Berchtesgadenern“, wie sie unter Bergsteigern genannt werden, gehören jene neun Gebirgsstöcke, die im Westen von der Saalach, im Osten von der Salzach begrenzt werden und die im Norden fast bis zur Stadt

Salzburg heranreichen. Die südliche Begrenzung bildet in etwa die Linie Saalfelden (nahe dem

Zeller See) - Dienten - Mühlbach am Höchkönig. Die Hauptgebirgsstöcke bilden das Watzmannmassiv im Zentrum, welches kranzförmig umgeben ist von Lattengebirge, Untersberg, Göllstock, Hagengebirge mit Steinernem Meer, Hochkönigstock, Hochkaltergebirge und Reiteralpe (Reiteralm). Insgesamt nimmt die Höhe der Berge von Süden nach Norden hin ab. Den höchsten Punkt bildet auf österreichischem Gebiet der von einem Plateaugletscher („Übergossene Alm“) bedeckte Hochkönig (2941 m), das Lattengebirge nahe Bad Reichenhall erreicht nur mehr 1700 Meter. Der höchste Gipfel auf ausschließlich deutschem Gebiet ist die Mittelspitze des Watzmanns mit 2713 Metern.

 

 

 

1.) Die Epoche des Präalpinismus

- Von den Anfängen bis zur Erstbesteigung des Mont Blanc 1786 -

Allgemeines:

Die Begegnung des Menschen mit dem Berg und dem Gebirge von seiner frühesten Zeit an bildet den Auftakt der Alpingeschichte. Die Zeitspanne kann von Hannibals Alpenüberquerung über die geistigen und künstlerischen Eroberungen der Berge in der Frührenaissance bis zum aufkeimenden Alpenverständnis und weiter bis zu einer regelrechten Begeisterung für die Alpen gegen Ende des 18. Jahrhunderts gedacht werden. Als Abschluß der Vorgeschichte und Auftakt einer neuen Epoche gilt die Besteigung des Mont Blanc 1786.
 

 

In den Berchtesgadener Bergen wurde schon sehr früh eine umfangreiche Almwirtschaft betrieben (nach alten Schriften stand schon 1376 am abgelegenen Funtensee im Steinernen Meer mindestens eine Alm, wissenschaftliche Untersuchungen der Holzreste verfallener Almen ergaben ein bis ins Jahr 1340 zurückreichendes Holzalter). Wahrscheinlich bestiegen Almleute schon sehr früh den einen oder anderen Gipfel, ohne dass etwas darüber bekannt wurde.

Gleiches gilt für den Untersberg (1973 m). Auch dort wurde das Gelände schon früh als Almweide genutzt. Der unschwierige Gipfel wurde wahrscheinlich schon lange vor der ersten „touristischen“ Ersteigung (V.Stanig) betreten. Zur Aufbesserung der Klosterkasse schürfte man (wenig erfolgreich) bereits im 16. Jahrhundert auf der Jenner-Südseite in 1600 Meter Höhe nach Bleierz und Silber. Auch Holzfäller, Jäger und Wilderer waren sicher schon seit eh und je im Gebirge unterwegs. Interpretationsbedürftig ist der Fund einer zweifelsfrei aus der Steinzeit stammenden Lanzenspitze in unmittelbarer Nähe des Jennergipfels. Dennoch: Die Anfänge des Alpinismus im eigentlichen Sinn in den Berchtesgadener Alpen fallen in das beginnende 19. Jahrhundert.
 

 

2.) Die Epoche des frühen Alpinismus

- Von der Erstbesteigung des Mont Blanc bis zur

Gründung der alpinistischen Organisationen 1857-69 -

Allgemeines:Die Französische Revolution markiert die Zeitenwende in politischer Hinsicht. Europas Gesellschaft wird umgestürzt, alte Ordnungen fallen. Die Aufklärung setzt mit Geist und Schwung neue Ziele. Unverkennbar ist eine neue Art der Hinwendung zur Natur, zur Natur des Menschen wie zur Natur der Landschaft, ein Drang nach Wissen und Erkenntnis. Forschergeist und Tatendrang haben freien Lauf. Schnell nacheinander werden die auffallenden Gipfel der Alpen erstiegen: Großes Wiesbachhorn, Watzmann, Großglockner, Ortler, Jungfrau... Der Forscherdrang macht in den Alpen nicht Halt: Alexander von Humboldt versucht 1801, den vermeintlich höchsten Berg der Erde, den Chimborazo (6267 m), zu ersteigen. Auch wenn er den Gipfel nicht erreicht, 5350 Meter waren damals wohl Höhenweltrekord. Expeditionen brechen auf in den Kaukasus (Parrot/Engelhardt 1811), zum Ararat (Parrot/Feodorow 1829), zum Demawend (Thomson 1837) und zu anderen Gipfeln.

Als erste in der Literatur festgehaltene touristische Bergbesteigungen in den Berchtesgadener Bergen finden sich die 1785 veröffentlichten Berichte des vielseitig interessierten Ingolstädter Gelehrten Franz von Paula Schrank. Seine Exkursionen, die noch echte Forschungsunternehmungen darstellten, führten ihn u. a. auf den Schneibstein (2277 m), den Reinersberg (2169 m) und das Hohe Laafeld (2069 m), ins Watzmannkar und auf das Seehorn (2322 m). In seinem Werk „Flora Berchtesgadensis“ beschrieb er über 500 Kräuter und Pflanzen.
 

 

1799 bis 1801 studierte ein gewisser Valentin Stanig Theologie in Salzburg, ein Name der die Erschließung der Berchtesgadener Alpen nachhaltig geprägt hat. Stanig, der auf seinen Touren

Blumen sammelte, meteorologische Messungen und landschaftliche Vermessungen durchführte, besuchte als erster Tourist den Untersberg, den er 1800 sogar im Winter bestieg, weil er wissen wollte, „wie es ober dem Nebel seyn möchte“. Als er, (wahrscheinlich) 1800, anlässlich von Vermessungstätigkeiten am als Wallfahrtsort schon damals vielbesuchten Watzmann-Hocheck (2653 m) stand, entschloss er sich, während seine Begleiter betend zurückblieben, allein über den schmalen Grat zur Mittelspitze (2713 m) hinüber zu klettern. Man muß sich den Verbindungsgrat zwischen den beiden Watzmanngipfeln ohne Sicherungen vorstellen, um die Unternehmung Stanigs in der damaligen Zeit abschätzen zu können (die erste Gesamtüberschreitung des Watzmanngrates bis zur Südspitze führten Kaindl, Kederbacher und Preiß 1868 durch). Ein Jahr später (1801) bestieg Stanig den Hohen Göll (2522 m) über seine steile Nordostflanke vom Eckerfirst aus – auf ziemlich der gleichen Route, über die heute der mit Eisenstiften und Drahtseilen versicherte „Salzburger Steig“ vom Purtscheller Haus zum Gipfelgrat verläuft. Die Watzmann-Mittelspitze und der Hohe Göll waren die bedeutendsten Unternehmungen Stanigs in den Berchtesgadener Alpen, dem im gleichen Zeitraum – nur einen Tag nach der Erstbesteigung – die vielbeachtete 2. Besteigung des Großglockners (29.07.1800) gelang.
 

 

Michael Vierthaler und Josef Kyselak waren zu Beginn des 19. Jahrhhunderts mit die ersten, die von touristischen Durchquerungen und Besteigungen (z. B. des Großen Hundstod, 2594 m) im weiträumigen Steinernen Meer berichten. „Führte das ungeheure Steinfeld nicht schon seit undenklichen Zeiten den Namen des Steinernen Meeres, so würde es ihn jetzt noch erhalten“ schrieb der Erstgenannte (1816) in seinen Aufzeichnungen. Den schönsten Gipfel des Steinernen Meeres, die Schönfeldspitze (2653 m), sicherte sich einer der bedeutendsten Erschließer der Berchtesgadener Alpen: Peter Carl Thurwieser. Gemeinsam mit dem Salzburger Geistlichen und späteren Erzbischof Friedrich Fürst Schwarzenberg und drei Almleuten erreichte er den stolzen Gipfel 1830 von der Buchauer Scharte aus über den steilen Ostrücken. Bereits 1825 erstieg er den höchsten Gipfel der Reiteralpe, das 2286 Meter hohe Stadelhorn, ein Jahr später (1826) als erster Tourist den Höchkönig. 1832 erklomm er die Watzmann-Südspitze (2712 m) aus dem Wimbachtal, 1834 den Hochkalter über den „Schönen Fleck“, die heute gebräuchliche Route. Seine Worte: „Ich bin, wenn ich am meisten steige, am gesündesten, wozu auch der geistige Genuß, die Freude des Herzens nicht wenig beitragen mögen; ja selbst die vielen Erinnerungen an meine Bergreisen und Aussichten geben mir, nach meiner unleugbaren Erfahrung nicht wenig Aufmunterung des Lebens, frohen Mut und manch freudige Stunde...“ (zit. nach Lang 1998, 563) weisen ihn als Pionier einer modernen sportlichen Grundhaltung aus. Die erste Besteigung des Hochkalters (2607 m) überhaupt gelang Thurwiesers Freund und Weggefährten Fürst Schwarzenberg mit drei Ramsauer Gamsjägern 1830 über die heute nicht mehr gebräuchliche Route des Kaltergrabens („Hirschenlauf“). In der Mitte des 19. Jahrhunderts kann die Erschließung der Hauptgipfel der Berchtesgadener Alpen als abgeschlossen bezeichnet werden.
 

 

3.) Die Epoche des klassischen Alpinismus

- Von der Gründung der alpinen Vereine 1857/69 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts -

Allgemeines:

Der dritte Abschnitt der alpinen Geschichte liegt in einer Zeit, die durch die Industrialisierung Europas und den Ausbau des Eisenbahnnetzes gekennzeichnet ist. Ab 1854 fährt die Bahn über den Semmering, ab 1867 über den Brenner und ab 1871 ist die Rigi-Bahn in Betrieb, der weitere Zahnradbahnen folgen. Alpenreisen werden Mode in der gebildeten Welt. Von Betrachtungen erhabener Hochgebirgsgipfel und lieblicher Täler verspricht man sich Gesundheit, Vergnügen und geistige Erfrischung. Die Alpen werden zum „Tummelplatz Europas“. An der Erschließung der höchsten Gipfel sind englische Sportsmänner wesentlich beteiligt. „The Playground of Europe“ lautet der Titel eines Klassikers der alpinen Literatur, in dem Leslie Stephen 1871, der mit seiner Besteigung des Schreckhorns (1861) den Schwierigkeitsalpinismus einleitet, seine Unternehmungen in den Alpen beschreibt.

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts kommt es zu einem großen Aufschwung der bergsteigerischen Bewegung. Gruppen und Vereine bilden sich, die ersten Fachbücher und Alpinzeitschriften werden herausgegeben. Der Gründung des Alpine Club in London (1857) folgt die Veröffentlichung von „Peaks, Passes and Glaciers“ (1859) und dieser die erste alpine Zeitschrift „Alpine Journal“. Den alpinen Taten folgen umfangreiche Berichterstattungen. Weitere alpine Vereine werden gegründet, 1862 in Wien, 1863 in Olten, 1867 in Turin und 1869 in München. Es ist die Zeit der Erschließer und Heroen: John Ball, Leslie Stephen, John Tyndall, Paul Grohmann, Hermann von Barth, Albert Frederik Mummery, Emil Zsigmondy, Ludwig Purtscheller, Georg Winkler. Es ist aber auch die Zeit großer Führer wie Dimai, Croz, Carell, Innerkofler, Anderegg. Ein schwieriger Alpengipfel nach dem anderen wird im Stil des klassischen Alpinismus erschlossen: Monte Rosa (1855, Ostwand 1872!), Pelmo, Rimpfischhorn, Eiger, Dom, Weißhorn, Dent Blanche, Barre des Ecrins, Matterhorn, La Meije..., aber auch Großglockner Pallavicinirinne, Piz Bernina Biancograt, Totenkirchl und Fleischbank, Deant Geant sowie der „Moore Sporn“ in der Brenvaflanke des Mont Blanc (1300 m, Eis 50º, Fels III, 1865!) und der Bumillerpfeiler am Piz Palü (800 m, Eis bis 60º, Fels bis V, 1887!)...
 

 

Bemerkenswerterweise waren in der Zeit, als Kederbacher die Watzmann-Ostwand durchstieg, viele zwar abgelegene, gleichwohl einfache Gipfel der Berchtesgadener Alpen überhaupt noch nicht bestiegen. Als wesentliche Erschließer der Berchtesgadener Berge in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts sind Johann Punz, Richard von Lonski, Franz von Schilcher, Albert Kaindl und Hermann von Barth zu nennen. Deren bekanntester, H.v.Barth (*1845), kam 23jährig als Rechtspraktikant nach Berchtesgaden, wo er in kurzer Zeit 69 Gipfel bestieg, davon zehn als erster. Sein Ideal war das führerlose Bergsteigen, fast alle Touren unternahm er allein. Bei der Erstbesteigung des Rotofenturmes (1369 m) über dem Pass Hallthurm meisselte er, nachdem er dort einmal abgeblitzt war, mit einem Hammer einen Tritt in die steile Gipfelwand. Bemerkenswert ist seine erste Gratüberschreitung des Kuchler Kammes vom Hohen Göll zum Kleinen Göll (allein), nachdem ihm Berchtesgadener Führer und Freunde versichert hatten, dass das Übersteigen des Grates unmöglich sei. Über seine Fahrten verfasste er genaue Berichte und versah diese mit Geländezeichnungen. Sein grundlegendes Werk „Aus den Nördlichen Kalkalpen“ (1874, darin das Kapitel „Aus den Berchtesgadener Alpen“) gilt als Klassiker der alpinen Literatur.
 

 

Einer der schwierigsten Gipfel der Berchtesgadener Berge, das Kleine Palfelhorn (2071 m) im hinteren Wimbachtal, gelang Franz von Schilcher mit Gefährten 1885, vier Jahre nach der ersten Durchsteigung der berüchtigten Watzmann-Ostwand durch den Ramsauer Johann Grill, nach seinem Hausnamen „Kederbacher“ genannt, und Otto Schück aus Wien am 6. Juni 1881. In 14 Stunden führte Kederbacher seinen Herrn aus dem Eisbachtal durch die 1800 Meter hohe „Bartholomäwand“ zum Gipfel der Mittelspitze. Mit dieser Leistung war Kederbacher (1835-1917), der nebenbei viele der damals anspruchsvollsten Routen in den Ost- und Westalpen beging, der Zeit in seinen Heimatbergen (nicht in den Westalpen oder Dolomiten) um Jahre voraus. Die schwierigste Stelle des „Kederbacherweges“ an der Schöllhornplatte (so benannt nach Christian Schöllhorn, der 1890 zum ersten Opfer der Wand wurde) erreicht annähernd den IV. Schwierigkeitsgrad!
 

 

Als letzter herausragenden Erschließer der Berchtesgadener Alpen im 19. Jahrhundert ist Ludwig Purtscheller zu nennen, dem 1885 mit dem Führer Johann Punz („Preiß“) die zweite Begehung der Watzmann-Ostwand mit dem heute üblichen Ausstieg zur Südspitze gelang. Auf sein Konto gehen die Erstbesteigungen einiger abgelegener Hochköniggipfel

(Nixriedel und Eibleck 1880, Taghaube und Schoberköpfe 1882, Kleiner Bratschenkopf 1885, Großer Sattelkopf 1893) und schwieriger Mandlwandzacken. Am Untersberg eröffnete er mit dem Geiereck Ostgrat (II) eine erste Route in der breiten Wandflucht zwischen Geiereck und Berchtesgadener Hochthron. Im Winter 1884 gelang ihm mit Kederbacher die erste Winterersteigung der Watzmann-Mittelspitze. In seinem Tourenbuch sind 1700 Touren festgehalten, darunter neben vielen Auslandsbergfahrten die erste Besteigung des Kilimandscharo.
 

 

Am Ende des 19. Jahrhunderts war die alpine Erschließung der Berchtesgadener Berge bis auf einige wenige und besonders schwierige Gipfel abgeschlossen. Die letzten Gipfelprobleme – einige steile Manndlwandtürme im Hochköniggebiet, der Kleine und Mittlere Bruder an der Reiteralpe, das Pflughörndl im Göllgebiet – waren bald gelöst. Lange Zeit übersehen wurde offenbar das Kleinste Palfelhorn, dessen Höhe in der neuesten Führerliteratur immer noch mit „etwa 2000 m“ (Schöner/Kühnhauser 1997, 327) angegeben wird. Erst 1933 betraten die berühmten Karwendelkletterer Otto Herzog und Gustaf Haber diese letzte eigenständige Gipfelerhebung der Berchtesgadener Alpen.
 

 

In den Jahren um die Jahrhundertwende wurden die meisten Schutzhütten in den Berchtesgadener Bergen erbaut. Am 17. Mai 1875 waren 16 Gründungsmitglieder der Sektion Berchtesgaden als 44. Sektion dem damaligen Deutsch-Österreichischen Alpenverein beigetreten. Gemäß seiner im Gründungsstatut festgelegten Zielsetzung „die Kenntnisse von den Alpen zu erweitern und zu verbreiten sowie die Bereisung von denselben zu erleichtern“, baute man Wege und Hütten. Zur ersten alpinen Unterkunft in den Berchtesgadener Bergen, einer einfachen Holzhütte für 20 Personen am Funtensee ab 1879, kam 1888 das zunächst für 25 Personen eingerichtete, bald (1894) erweiterte Watzmannhaus. Wenig später, bereits 1898 stand am Hocheck die hölzerne Unterstandshütte. Zwischen 1898 und 1901 enstand das Stöhrhaus am Untersberg, 1900 wurde das Purtscheller Haus am Hohen Göll eingeweiht. Das Hochkaltergebirge erhielt als letztes einen Stützpunkt: erst 1922 wurde die (alte) Blaueishütte erbaut. 1955 von einer Lawine zerstört, befindet sie sich heute an einem etwas tiefer gelegenen sicheren Standort.

4.) Die Epoche des modernen Alpinismus

- Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts; die „letzten Probleme“

in den Alpen und modernes Klettern -

Allgemeines:

Vor dem Hintergrund kultur- und geistesgeschichtlicher Veränderungen in der europäischen Gesellschaft, auffallend wandelt sich auch die Kunst, kommt es zu einer deutlichen Veränderung im Stil des Bergsteigens: Das moderne Klettern beginnt. Neue Kletter- und Seiltechniken werden entwickelt, innerhalb weniger Jahre kommt es zu einer immensen Steigerung des Standards der Schwierigkeiten. Turnerische Bewegungsabläufe sind gefragt. Wegweisend sind die Unternehmungen von Preuß und Dülfer. Ein völlig neuer Expeditionsstil im Himalaya und gleichzeitig die Versuche einer Lösung „letzter Probleme“ in den Westalpen und Dolomiten prägen die Epoche. In die lebendige Entwicklung schlägt 1939 der Beginn des 2. Weltkrieges.
 

 

1900-1920: Berchtesgadener Kletterpioniere

Nachdem alle Gipfel erstiegen waren, richtete sich der Tatendrang der Bergsteiger auch in den Berchtesgadener Bergen auf neue Wege und Anstiege. Alle möglichen und unmöglichen Schrofenwände und Grate wurden erklommen, zum Teil auf Routen, die nach der Erstbegehung kaum mehr eines Menschen Fuß betrat. Die reich gegliederten Gebirgsstöcke mit ihren teilweise kilometerbreiten Wandfluchten (so z. B.die Westflanke des Watzmanns über dem Wimbachtal oder die gegenüberliegende Ostflanke des Hochkalter-Hauptkammes bis zur Hocheisspitze hinüber) boten hierfür ein reichhaltiges Betätigungsfeld. Die Vielzahl der durchgeführten Anstiege kann hier nicht näher ausgeführt werden. Dem Interessierten empfiehlt sich die einschlägige Führerliteratur älteren Datums (z.B. Zeller, Schöner 1966).
 

 

Eine herausragende Erstbegehung war der Nordgrat der Blaueisspitze durch

v. Frerichs, v. Below 1899. Die abwechslungsreiche klassische Gratüberschreitung in festem Fels wird als Teil der „Blaueisumrahmung“ auch heute noch häufig begangen.

Obwohl die Route nach dem Bergsturz von 1954, bei dem der Gipfel des 2. Gratturmes wegbrach, etwas schwieriger wurde (bis IV), dürften auch von den Erstbegehern bereits Stellen des Grades IV- gemeistert worden sein. Ein Bergsteiger, dem es offensichtlich weder an Wagemut noch an Können fehlte, war Georg Leuchs. Am Grundübelturm an der Reiteralpe eröffnete er 1900 im Alleingang den Anstieg über den Westgrat (IV-), eine nach „Zellerführer“ 1911 „sehr schwere und exponierte, aber auch sehr prächtige Kletterei – für alpine Feinschmecker“. Der Erstbegeher des bekannten Kopftörlgrates (III) im Wilden Kaiser beging im selben Jahr (1900) am Großen Mühlsturzhorn, ebenfalls im Alleingang, die ausgesetzte Südostwand (IV).
 

 

Zur Jahrhundertwende tauchte der Name Max Zeller(*1880 in Ruhpolding) in den Berchtesgadener Bergen auf. Seine vielseitigen Unternehmungen, darunter einige Erstbegehungen, machten ihn zu einem hervorragenden Gebietskenner. Seine Kenntnisse verwertete er in Monographien (z. B. Reiteralpe 1910, Hochkalter 1914), vor allem aber im ersten Gebietsführer 1911 („Zeller´s Führer durch die Berchtesgadener Alpen“). Seine bekannteste Route wurde die Westwand des Hohen Göll durch die nach ihm benannte Zellerschlucht (J.Klammer/R.Kroher/M.Zeller 1910) im Schwierigkeitsgrad III+. Einen leichten aber hübschen und besonders landschaftlich sehr reizvollen Anstieg fand er mit M. Hartmann 1909 in der Südwand des Wagendrischelhorns (III-). Eine große Höhle mit eisbedecktem Grund, an der man vorbeikommt, wird heute „Zellerhöhle“ genannt (nicht zu verwechseln mit dem „Zellerloch“ in der Watzmann-Ostwand).
 

 

Einige der schönsten und heute noch viel begangenen Anstiege fand der Salzburger Kaspar Wieder. Die (alte) Westwand (III+) am Kleinen Watzmann beging er 1908 mit Franz Barth. Nach einer Vielzahl weiterer Erstbegehungen in den Berchtesgadener Bergen bis zum Hochkönig hinüber fand er 1920 mit H. Lapuch den heute als „Wiederroute“ weitbekannten Anstieg (III-) durch die Ostwand der Watzmann-Mittelspitze vom Kar aus. Die Route bietet neben außergewöhnlichen landschaftlichen Eindrücken – z. B. den Tiefblick ins trümmerübersäte Watzmannkar und in die Bartholomäwand – einen unvergleichlichen Gang „auf Reibung“ über die ganze Länge eines glattgeschliffenen, nicht allzusteilen Plattenbandes aus bestem Kalk („Wiederband“). Bemerkenswert an den Erstbegehungen Wieders ist sein Gespür für die natürlichen Durchstiegsmöglichkeiten, die die Wände bieten und denen er seine Routen folgen lässt. Seinem Seilgefährten Barth gelang 1907 die heute wohl am meisten begangene Route mittleren Schwierigkeitsgrades in den Berchtesgadener Alpen: die Südwand des Berchtesgadener Hochthrons (III+) am Untersberg. Bereits ein Jahr später (1908) beging er mit Vogt am selben Berg den in halber Wandhöhe ansetzenden und in gerader Linie bis zur Hochfläche führenden Kamin, der heute „Barth-Kamin“ genannt wird.
 

 

Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass, als Zeller, Barth, Wieder und andere ihre Anstiege eröffneten, die Erstbegehung der 650 Meter hohen Marmolada Südwand im IV. Schwierigkeitsgrad durch M.Bettega, B.Zagonel und Beatrice Tomasson (1901!) schon einige Jahre zurücklag und zeitgleich Routen wie die „Fehrmannverschneidung“ (V-) auf die Guglia di Brenta (Fehrmann/Smith 1908), die „Dibonakante“ (IV) an der Großen Zinne (Stübler/Dibona 1909) oder der „Preußriss“ (V) an der Kleinsten Zinne (Preuß/Relly 1911), am Dachstein der „Steinerweg“ durch die 800 Meter hohe Südwand IV+ (Gebr. Steiner 1909) oder im Karwendel die 700 Meter hohe „Herzogkante“ (bis V-) auf die Laliderer Spitze (O., Chr. und P.Herzog 1911), um nur einige Beispiele zu nennen, erstiegen wurden.
 

 

Nach und nach steigern sich auch die Schwierigkeiten der in den Berchtesgadener Bergen eröffneten Routen. 1912 streift der Salzburger Kaminkehrer Hans Feichtner mit Gef. im Lattengebirge den V. Grad (Signalkopf Nordwand „alter Weg“, V-).

Die ersten mit V bewerteten Routen in den Berchtesgadener Bergen gelingen Adolf Deye, Mitbewerber um die Fleischbank Ostwand, mit der Westwand (V) des Großen Weitschartenkopfes (Deye/Seitz/Widmann 1912) und der Nordwestwand (V) des benachbarten Kleinen Weitschartenkopfes an der Reiteralpe.
 

 

Ein Jahr später (1913) gelingt Feichtner mit Langthaler die Südkante des Großen Grundübelhorns („Grundübelkante“) mit Stellen bis zum V. Grad. Der ideale Anstieg in festem Fels über die 500 Meter hohe Kante ist heute eine der am meisten begangenen Genussklettereien im gehobenen Schwierigkeitsgrad. Zu unterschätzen ist die Kante mit ihrem langen Zu- und Abstieg auch heute nicht! Über Jahre scheint jener Hans Feichtner einer der fleißigsten Erschließer neuer Routen in den Berchtesgadener Bergen gewesen zu sein. Kaum ein Name findet sich häufiger in der (älteren) Führerliteratur. Neben vielen Routen am Untersberg in der fünf Kilometer breiten Wandflucht zwischen Geiereck und Berchtesgadener Hochthron – in der auch andere Salzburger Kletterer wie V.Raitmayer, L.Schifferer, K.Wieder oder A.Amannshauser aktiv waren – eröffnete er mit verschiedenen Gefährten an der Reiteralpe die Hirscheck Nordwand (IV, 1923), im Hochkaltergebiet unter anderem die Ofentalhörndl Südostwand (IV, 1913), den Schönwandeck Ostgrat (IV-, 1923) und die Schärtenspitze Nordwand (1919) und Ostwand (1924, beide IV) sowie an der Watzmann-Jungfrau die Südwestkante IV- (solo 1919). Auch im Hagengebirge (Teufelshorn Nordwestwand, III, solo 1919) und an der Torsäule im Hochköniggebiet (Südwestschlucht, III, 1919) hinterlässt Feichtner seine Spuren. Seine wohl bekannteste

Erstbegehung gelang ihm mit seinem Vetter Hermann Feichtner, Viktor Raitmayer und Ludwig Schifferer 1923: der Salzburger Weg in der Watzmann-Ostwand (V-/A0). Die Kletterei vom Schöllhornkar aus über eine 250 Meter hohe Steilwand bis zum sogenannten 1. Band bietet (in Kontrast zum sonstigen Ostwandgelände) durchwegs luftige Kletterei in festem Fels. Dem gut gangbaren Band folgend gelangt man über eine Unterbrechungsstelle (IV) zum Beginn der Gipfelschlucht (bei ca. 2100 Meter), in der sich alle Routen der Wand vereinigen, um, vorbei an der Biwakschachtel in 2380 Meter Höhe den Gipfel der Südspitze (2712 m) zu erreichen.

Auch wenn viele Anstiege Feichtners heute kaum mehr begangen werden, lässt die genannte Auswahl seiner Routen zum Teil in den entlegensten Winkeln der Berchtesgadener Berge auf den langjährigen Pioniergeist ihres Erstbegehers schließen.
 

 

Die 20er Jahre

Josef Aschauer: Kühne Routen im V. Grad ohne Haken

Ab Beginn der zwanziger Jahre macht der Berchtesgadener Josef Aschauer (*1902), durch

Erstbegehungen in bis dahin in den Berchtesgadener Bergen nicht gekannten Schwierigkeitsgraden auf sich aufmerksam. 1920 gelingt ihm, 18jährig, mit dem Berchtesgadener Sepp Kurz die Direkte Westwand des Kleinen Watzmanns. Vielleicht weil er „koa b´sonders G´schick fürs Hakenschlagen g´habt hat“ („Aschi“ in einem Interview mit Hörst Höfler, vgl. Höfler 1993, 88), schlugen die beiden in der 400 Meter hohen Wand im Schwierigkeitsgrad „V (Stelle), mehrmals IV+ und V-, Rest IV, wenige Strecken leichter“ (AV-Führer 1997) keinen einzigen Haken. Der Anstieg gehört heute mit der bereits erwähnten „Grundübelkante“ (V-) und der Geraden Südwand des Großen Häuslhorns (V-) von Kadner und Gef. (1920) an der Reiteralm zu den drei lohnendsten Genussklettereien der Berchtesgadener Alpen im gehobenen Schwierigkeitsgrad.

1921 begeht er mit Hellmuth Schuster die direkte Hocheck-Ostwand (V), eine Route, die trotz schöner Linienführung heute nur wenige Begeher findet. Wer aber schon einmal unter der Schlüsselstelle, einem gut 20 Meter hohen, steil von links nach rechts durch die Platten ziehenden Riss, gestanden und mit einem mulmigen Gefühl („das soll ein Fünfer sein?“) hinaufgeschaut und vergeblich nach Haken gesucht hat, und er dann trotz dieses Gefühls in den Riss eingestiegen ist und feststellen musste, dass da wirklich keine Haken steckten und erst in beträchtlicher Höhe wenigstens eines der modernen Sicherungs-Klemmgeräte anzubringen war, der wird oben am Stand kaum anders denken als der Autor, nämlich: »Hut ab vor den Erstbegehern!« Im selben Jahr (1921) begehen Aschauer und Kurz die direkte Westwand des Hohen Gölls, jene 500 Meter hohe, steile Rissverschneidung, die im hintersten Winkel der Riesenwand häufig feucht und laut Beschreibung „stellenweise sehr lehmig, brüchig und gefährlich“ in Schwierigkeiten bis V- zu den Ausstiegsschrofen leitet. 1922 gelingt den beiden mit der Erstbegehung des Großen Trichters ebenfalls in der Göll-Westwand ihre bekannteste Route. Am Beginn des Querganges, über den sie von links her über ungemein ausgesetzte und glatte Platten das unterste Ende des Trichters (das „Sauschwanzl“) erreichen, schlagen sie den einzigen Haken! Der Weiterweg über die Klemmblöcke des Trichtergrundes ist (hakenlos) solider Grad V+!
 

 

Die Seilschaft Aschauer/Kurz etabliert als erste in den Berchtesgadener Bergen einen Schwierigkeitsstandard, der anderswo, z. B. im Wilden Kaiser, schon einige Jahre zuvor erreicht wurde. Erinnert sei an die wegweisenden Routen Dülfers, die Fleischbank Ostwand (Dülfer/ Schaarschmidt 1912) und Totenkirchl Westwand (Dülfer/v.Redwitz 1913). Die Schlüsselstelle des von Dülfer 1913 im Alleingang eröffneten Dülferrisses an der Fleischbank wird heute noch mit V+ / A0 oder VI- in freier Kletterei bewertet! In der Predigtstuhl Westwand kletterten K.Schüle und P.Diem schon 1921 im Grad VI-/A1, in der Route, zu der Beringer und Haslacher 1925 jenen kühnen Ausstieg durch die sagenhaft ausgesetzte Rißverschneidung (VI/A1) des schlanken Pfeilers am Predigtstuhl Mittelgipfel fanden.

Obwohl die Routen von Aschauer und Kurz vom Charakter her nicht mit den genannten Kaisertouren vergleichbar sind, die Schwierigkeiten der von ihnen frei (und ohne Hakensicherung) gekletterten Passagen sind als ebenbürtig einzustufen! In den ungesicherten Schlüsselstellen – gesichert über die Schulter an einem Hanfseil – gab es bei realistischer Betrachtung wohl nur zwei Möglichkeiten: entweder hinaufkommen oder ein Sturz mit tödlichem Ausgang (für beide)!
 

 

1947 fanden Josef Aschauer und Hellmuth Schuster schließlich noch einen neuen Anstieg durch die Watzmann-Ostwand („Berchtesgadener Weg“), der unter Umgehung beider Randklüfte in abwechslungsreicher Kletterei (III-) die Gipfelschlucht über eine verdeckte, jedoch gut kletterbare Rampe erreicht. Die Route ist heute die am meisten begangene durch die Watzmann-Ostwand.
 

 

1995 starb der allseits bekannte und beliebte Josef Aschauer, der bis ins hohe Alter in seine geliebten Berge ging. Einige seiner legendären Erlebnisse und Taten („Der schwarze Tag in der Watzmann-Ostwand“, den er mit einem Kameraden überlebt, während fünf Bergsteiger nach einem Wettersturz erfrieren... oder die Bergung eines leicht verletzten Skifahrers aus einer 60 Meter tiefen Doline im Watzmannkar... oder die Rettungsaktion der Brüder Frey aus der winterlichen Watzmann-Ostwand nach sieben Tagen... oder den Sturz aus der Signalkopf-Nordwand vom Standplatz – infolge fehlender Standhaken – den er, 40 Meter tiefer von einem Baum gebremst, so gut wie unverletzt übersteht...) hat Höfler (1993, 87f.) aufgezeichnet.
 

 

Ende der 20er bis in die 30er Jahre hinein war die Zeit der nach Hans Ertl so benannten „Bergvagabunden“, die sich, meist arbeitslos und mit so großem Auftrieb wie wenig Geld – oft auf Fahrrädern – zu großen Zielen im Gebirge aufmachten. Einige klingende Namen tauchten in den Berchtesgadener Bergen auf, die später zu traurigem Ruhm gelangen sollten: Willy Merkl, Fritz Bechtold, Peter Müllritter, Willo Welzenbach und Eugen Allwein. Die drei Erstgenannten, die zu den führenden Bergsteigerpersönlichkeiten ihrer Zeit gehörten, unternahmen in den 20er Jahren einige eher unbedeutende Erstbegehungen an der Reiteralpe. Einigermaßen bekannt und wiederholt wurde die Südwand (V+) des Kleinen Mühlsturzhorns, wohingegen die von ihnen begangenen Südkamine (V) am Großen Mühlsturzhorn heute nur noch als Abseilpiste benutzt werden. Welzenbach und Allwein begingen 1924 den Westgrat der Schärtenspitze (bis V), für die Allwein offenbar eine besondere Vorliebe entwickelte: mit anderen Gefährten beging er noch die Nordwand und Nordostwand (IV). Eugen Allwein, Arzt aus München, war Freund und Weggefährte Paul Bauers, des Expeditionsleiters der beiden deutschen Expeditionen zum Kangchendzönga (8598m) von Nordosten 1929 und 1931; Gemeinsam mit einigen Kameraden erreichte Allwein 1931 dort einen 7775 Meter hohen Sporngipfel, den damals höchsten je von Menschen betretenen Punkt. Willy Merkl und Willo Welzenbach überlebten als Teilnehmer der Deutschen Nanga Parbat Expedition 1934 ebenso wie Uli Wieland und sechs Sherpas den Rückzug vom 7451 Meter hohen Silbersattel im tagelangen Schneesturm nicht. Fritz Bechtold und Peter Müllritter waren rechtzeitig abgestiegen und blieben unverletzt. Noch schlimmer kam es bekanntlich in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 1937, als eine Lawine das Lager IV der nächsten Deutschen Nanga Parbat Expedition (auf 6185 Meter unter dem Rakhiot Peak) mit 16 Menschen (sieben Bergsteiger und neun Sherpas) unter sich begrub. Unter den Toten waren Peter Müllritter und der bekannte Kaiserkletterer Adolf Göttner.
 

 

Die 30er Jahre

Die Seilschaft Hinterstoisser/Kurz eröffnet Routen im VI. Grad

Neue Maßstäbe setzten in den Berchtesgadener Bergen ab Mitte der 30er Jahre die Seilschaft Toni Kurz (*1913 in Berchtesgaden) und Anderl Hinterstoisser (*1914 in Bad Reichenhall). Ihre Anstiege weisen Schwierigkeiten sowohl in freier als auch in hakentechnischer Kletterei auf, die (man bedenke die damalige Ausrüstung: Hanfseile, Eisenkarabiner, Kletterpatschen mit Manchonsohle – bestenfalls, oft wurde barfuß geklettert) bis in die späten 70er Jahre hinein, bis zum Aufschwung der Freikletterbewegung, kaum übertroffen wurden. Eine erste, heute vergessene Route begehen die beiden 1932 an der grauenvoll brüchigen Rotleitenschneid (Nordostwand, IV-V) im Hinteren Wimbachtal. Zwei Jahre später eröffnen sie dann eine schwierige Erstbegehung nach der anderen, Routen, die heute zu den Klassikern im extremen Fels der Berchtesgadener Alpen gehören. 1934 begeht Toni Kurz mit Karl Dreher den Westwandriss am Kleinen Watzmann (VI mit hakentechnischen Passagen). Alle anderen Routen klettern die beiden gemeinsam: 1934 die Südwestwand am Untersberg, 1935 die Wartsteinkante an der Reiteralpe und die direkte Südkante des 3. Watzmannkindes, 1936 die Pfeilersüdwand am Untersberg und im gleichen Jahr schließlich noch ihr Meisterstück: die direkte Südkante des Großen Mühlsturzhorns, die bis Ende der 50er Jahre als schwierigste Kletterei der Berchtesgadener Alpen galt (die zweite Begehung gelang H.Lobenhoffer und E.Riedl 1948!). Alle Routen bieten guten Fels und vorwiegend freie Kletterei im Schwierigkeitsgrad mindestens VI- mit durchaus anspruchsvollen hakentechnischen Passagen (A1/A2, heute VII bis VIII in freier Kletterei).
 

 

Beide waren bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall stationiert, als sie mehr oder weniger widerrechtlich die Kaserne verließen und am 18. 7. 1936 mit den Österreichern Willi Angerer

und Edi Rainer in die Eiger-Nordwand einstiegen. Nachdem sie ziemlich schnell die halbe Wandhöhe erreicht hatten, zwang am 20. 7. ein Wettersturzes zur Umkehr. Der Rückzug gelang reibungslos bis zum heute als Hinterstoisser-Quergang bekannten Seilquergang, über den sie als erste einen idealen Zustieg zum ersten Eisfeld gefunden hatten. Das Quergangsseil hatten sie abgezogen, Zurückklettern war nicht möglich... Das Abseilen in unbekanntes Gelände geriet zur Katastrophe. Keiner erreichte lebend den Wandfuß. Besonders tragisch war der Tod von Toni Kurz. Mit letzten Kräften hatte er mit den Zähnen ein Hanfseil aufgedröselt, woran die aus dem Tunnelfenster der Jungfraubahn ausgestiegenen Retter ein weiteres Seil gebunden hatten. Kurz konnte sich weiter abseilen, bis schließlich – wenige Meter oberhalb der Rettungsmannschaft – der Seilknoten im Karabiner seines Abseilsitzes hängenblieb und er nicht mehr die Kraft hatte, den Knoten durchzudrücken...
 

 

Die so jung (22- und 23jährig) in der Eigerwand ums Leben gekommenen Anderl Hinterstoisser und Toni Kurz waren in den Berchtesgadener Bergen die Protagonisten einer neuen Seil- und Hakentechnik, die in den 30er Jahren – besonders in den Dolomiten – eine Vielzahl großer Erstbegehungen ermöglichte: Als einige herausragende, später berühmt gewordene Routen des sechsten Grades seien genannt: Die „Comici“ in der Großen Zinne Nordwand (1933), die „Carlesso“ am Torre Trieste (1934), die „Andrich/Faè“ an der Punta Civetta (1934), die „Cassin“ an der Westlichen Zinne (1935 – des Cassin, der 1937 die Badile-Nordostwand und 1938 den Walkerpfeiler an den Grandes Jorasses beging), die „Micheluzzi“ am Piz Ciavazes (1935), die Torre di Valgrande Nordwestwand von Carlesso/Menti (1936) sowie die „Vinatzer“ (1936) oder „Solda“ (1936) an der Marmolada. Auch wenn in manchen dieser Routen schon ganz ordentlich genagelt wurde, lasse man sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht wenige mit einem minimalen Hakenaufwand erstbegangen und erst viel später „vernagelt“ wurden. Leistungen wie die von E.Solleder, der 1925 mit G. Lettenbauer an einem Tag die 1100 Meter hohe Civetta-Nordwestwand („Solleder“, VI-/A1) und ein Jahr später (1926) mit F.Kummer die Sass Maor Ostwand durchstieg, waren ihrer Zeit um Jahre voraus. Gleiches gilt für die Begehung der Fleischbank-Südostwand (1925) durch F.Wiessner und R.Rossi, bei der Wiessner nach glaubwürdigen Quellen (vgl. Schubert 2000, 16) nur einen einzigen Haken „anfassen“ musste. Erstaunlich wenig los war in den 30er Jahren im Wilden Kaiser, sieht man von den Begehungen der „Asche-Lucke“ an der Fleischbank (1930), der Leuchsturm Südwand (1930), oder der Bauernpredigtstuhl (alten) Westwand (1934) einmal ab. Als letzte Routen von höherem Bekanntheitsgrad, die den Standard der 30er Jahre belegen, seien noch die „Schmid/Krebs“ (VI-/A1) in der Lalidererwand von 1929 und im Dachsteingebiet die Däumling Ostkante (V+/A1) von 1932 und Torstein-Südverschneidung (VI/A2) von Schinko/Bischofberger (1934) angeführt.

Doch zurück in die Berchtesgadener: Als weitere aktive Kletterer der „Ära Hinterstoisser/Kurz“ sind die Reichenhaller Brüder Hans und Simon Flatscher zu nennen, die einige Erstbegehungen im Stil der 20er Jahre durchführen: An den Nordabstürzen der Reiteralpe, in den dusteren Wänden oberhalb von Jettenberg die Nordwände des Hirschwieskopfes (1935) und des Feuerhörndls (1936), beide im V. Grad, ernste Routen auch heute noch. Eine kurze, aber ansprechende Linie durch die Nordwand des Signalkopfes über Bayerisch Gmain (direkte Nordwand, V) fand H.Flatscher mit K.Rieser bereits 1924. Einige haarsträubende Routen im brüchigen Ramsaudolomit der Südlichen Wimbachkette wie z. B. die Ostwand des Alpelhorns (H.Flatscher/L.Murr/K.Rieser 1924) oder die Westwand des Kleinen Palfelhorns IV (H.u.S. Flatscher 1932) dürften kaum jemals Wiederholer gesehen haben. Aufsehen erregte die erste Winterbegehung der Watzmann-Ostwand (Kederbacherweg) vom 6. bis 8. Dezember 1930 durch die Reichenhaller Simon Flatscher, Toni Beringer, Ludwig Zankl und den Trostberger Georg Mitterer.
 

 

Der Reichenhaller Toni Beringer hatte sich schon im Wilden Kaiser einen Namen gemacht, als er 1925 mit H.Haslacher den Riss am Mittelgipfel des Predigtstuhls beging, der in Kombination mit der „Schüle/Diem“ zu einer der beliebtesten extremen Kaiserklettereien wurde. In den Berchtesgadenern gelang ihm 1930 mit G.Mitterer noch die Nordostwand des Wartsteins, eine in Vergessenheit geratene Route, die freie Kletterei (VI-) durch den ungemein abweisenden Riss etwa 40 Meter links der bekannten Wartsteinkante bietet.

Noch bevor Hinterstoisser und Kurz ihre Routen kletterten, eröffnete G.Mitterer mit dem Traunsteiner Hans Huber 1930 mit der Südkante (bis VI-/A1) des Großen Mühlsturzhorns die erste extreme Route in der vielleicht idealsten Kletterwand der Berchtesgadener Alpen. Die 450 Meter hohe „alte Mühlsturzkante“ im besten Kalkfels gehört heute zu den absoluten „Genussklassikern“. Ein Jahr später (1931) gelingt den beiden mit dem Südpfeiler des Kleinen Grundübelhorns ebenfalls ein ansprechender, heute jedoch eher selten begangener Anstieg.
 

 

Ebenfalls vorwiegend im Stil der 20er Jahre eröffnen die Bergführer und Hüttenwirte der Blaueis- und Wimbachgrieshütte, Rafael Hang und Thomas Datzmann, eine Reihe von Erstbegehungen im Gebiet des Hochkalters und in der Südlichen Wimbachkette. Routen wie der „Rotpalfenriss“ (V+/A1) von 1932 oder die Gerade Südwand (V-) von 1939 am Wasserwandkopf haben heute nur noch historische Bedeutung. Das gleiche gilt für die Westwand des 1. Blaueisturmes (VI-) von 1935 oder den Nordgrat des Kleinen Palfelhorns von 1930. Eine wirklich alpine Unternehmung ist nach wie vor die 1400 Meter hohe Hochkalter-Ostwand (Datzmann/Hang 1931) vom Wimbachgries aus. Geboten wird so ziemlich alles, was das Herz des klassischen Alpinisten höher schlagen lässt: ein steiler Lawinenkegel am Wandfuß, Schrofengelände ohne Ende, ein schlecht absicherbarer Steilaufschwung bis V, und, wenn man (wie der Autor) die Tour an einem der heißesten Tage eines Jahres mit ganz wenig Trinkvorräten begeht, ein Durst wie selten... 1998 konnte die Familie Hang ihr 70jähriges Jubiläum der Bewirtschaftung der Blaueishütte feiern.
 

 

5.) Der zeitgenössische Alpinismus

- Von der Ersteigung des ersten Achttausenders 1950 bis in die Gegenwart -

Allgemeines:

Nach 1945 ist man zunächst bemüht, das Klettern im Stil der 30er Jahre wieder aufzugreifen.

Gerade die deutschen Kletterer hatten nach dem Krieg zunächst einmal keine (legale) Möglichkeit für Auslandsaufenthalte. Als Ersatz für nicht erreichbare Herausforderungen (z. B. in den Westalpen) dienen gelegentlich härteste Winterbegehungen. Nach und nach erfahren die im wesentlichen seit Dülfers Zeiten üblichen Hilfsmittel und Techniken der Kletterer eine Perfektionierung (z. B. Trittleitern). Den Maßstab zur Einschätzung von Erstbegehungen liefern jedoch nach wie vor die schweren Routen der 30er Jahre.

Bei Erstbegehungen ist eine Veränderung im Verhältnis zwischen frei und mit Hakenhilfe gekletterter Passagen zugunsten der letzteren feststellbar, eine Tendenz, die schließlich fließend ins „Direttissimazeitalter“ überging. In den Westalpen machen die Erstbegehungen der Gand Capucin Ostwand (Bonatti/Ghigo 1951) und der Dru-Westwand (Magnone u. a. 1952) Furore. Sie übertragen das „artifizielle“ Klettern in einem Ausmaß auf steilste Granitwände, wie es bis dahin gelegentlich nur in den Dolomiten und Nördlichen Kalkalpen praktiziert wurde. Der Erstbegeher der Dru-Westwand spricht von einer „Wende im Alpinismus“. Während im Himalaya die Achttausender bestiegen werden (1950 bis 1964) wagt man sich in den Alpen an weitere „allerletzten Probleme“. Die 60er Jahre waren das Zeitalter der Direktrouten, in denen an Haken nicht eben gespart wurde (mit teilweise ulkigen Auswüchsen wie z.B. die Bohrhakenleiter der „Via Italia“ durch die dachartigen Überhänge am Piz Ciavazes), das erst einmal durchgestanden sein musste, bis Anfang der 70er Jahre die Zeiten wieder „freier“ wurden. Einige Jahre tat sich nichts eigentlich Neues, bis die Freikletterbewegung in Verbindung mit einer Öffnung der (seit 1926 gültigen) sechsstufigen Welzenbachskala nach oben (1978) zu einer unglaublichen Leistungsexplosion führte und es zeitgleich zu einer wahren Flut von Erstbegehungen kam. Die Ausrüstung wurde immer ausgefeilter. Verwegene Erst-, Allein- und Winterbegehungen setzen ein, Profis konnten vom und für´s Klettern leben. Klettern wird Leistungssport, Kletterpassagen werden an künstlichen Kletterwänden (mit Schraubgriffen) nachgebaut und eingeübt.

Nicht selten waren und sind es Profis, die durch kühnste (marktwertfördernde) Aktionen (Soloerstbegehungen, Winternachtalleingänge, Enchainments, d.h. Aneinanderreihungen mehrerer schwierigster Routen an einem Tag etc.), die Maßstäbe setzen und von sich reden machen. Das Klettern als Kind der Zeit bildete bunt schillernde Formen und Facetten aus: Die besten im Bouldern, Freiklettern, Hakenklettern, Eisklettern, Fassadenklettern oder „Dry Tooling“ beherrschen ihr Metier auf artistische Weise. Zugleich wurden die Leistungen im Höhenbergsteigen gewaltig nach oben getrieben. Kommerzielle Auswüchse dieser Spielart geraten nach Katastrophen mit Todesopfern in die Kritik während gleichzeitig Bücher von Überlebenden hohe Auflagen erzielen.

Das alles spielt sich ab vor dem Hintergrund einer hochmobilen, permanent reizüberfluteten, gleichwohl sich ständig auf Reizsuche befindlichen Wohlstandsgesellschaft.
 

 

Die Kriegsjahre in den Berchtesgadener Alpen

Nach Ausbruch des Krieges 1939 wurden viele Berchtesgadener Bergsteiger – an jungen Talenten fehlte es keineswegs – eingezogen und nicht wenige starben schon in jungen Jahren auf irgendwelchen Schlachtfeldern. Die Erschließung neuer Routen in den Berchtesgadener Bergen kam weitgehend zum Erliegen. Die wenigen nennenswerte Anstiege der Kriegsjahre gelingen ausnahmslos Salzburger Kletterern:

Am Untersberg begehen F.Palaoro und F.Spitzelburger 1940 die eindrucksvolle „Gelbe Mauer“ (V+/A1) und ein Jahr später (1941) die Gabelwand (VI-), die einen direkten Zustieg zum bereits 1934 von H.Gruner und E. Rainer begangenen Gabelriss ermöglicht. Am gleichen Berg durchsteigen K.Schimke und H.Reischl 1943 den direkten Südostpfeiler (Stelle V+), eine heute viel begangene Genusskletterei in rauhem festem Fels.

Mit dem Kleinen Trichter in der Göll-Westwand (VI-/A1) gelingt der Seilschaft Gauder/Helminger eine lange und abwechslungsreiche Route, die heute zu den Klassikern gehört und häufig begangenen wird. Der Seilquergang über glatte Platten in den Trichter wurde Ende der 70er Jahre zum ersten Mal frei geklettert (VII).
 

 

Hans Lobenhoffer prägt die Nachkriegszeit

Bereits in die Nachkriegszeit (in der die Bevölkerung des Berchtesgadener Landes mehr darben mußte als während des Krieges) fällt 1947 die Begehung des kurzen, aber lohnenden direkten Zustieges zum Barthkamin am Untersberg (V+/A1) durch die Reichenhaller Grießer und Rauhdaschl. In der Folgezeit unternimmt der Rosenheimer Hans Lobenhoffer mit Gefährten bemerkenswerte Neutouren an den Mühlsturzhörnern. In der Südverschneidung des Großen Mühlsturzhorns (Lobenhoffer/Hollerieth/Rausch/Wimmer 1948), sowie in der Südostwand (Laub/Lobenhoffer 1946) und Südwestwand (Hollerieth/Lobenhoffer 1949) des Kleinen Mühlsturzhorns meistern sie Schwierigkeiten, die den Hinterstoisser/Kurz-Routen absolut ebenbürtig sind. Lobenhoffer war nach dem Krieg einer der ersten, der die gut zehn Jahre zuvor eröffneten Routen der legendären Seilschaft wiederholte. Bei der bereits erwähnten 2. Begehung der Direkten Mühlsturzkante mit dem Reichenhaller E.Riedl 1948 (der Versuch einer Winterbegehung musste 1947 wegen Schlechtwetter abgebrochen werden) steckte in der ganzen Route 1 Haken! Die Pfeiler-Südwand am Untersberg begingen er ebenfalls mit Riedl 1947 als Dritter. Lobenhoffer war Teilnehmer der Deutschen Nanga Parbat Expedition 1939 (mit Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter).

Eine herausragende Unternehmung war 1949 die Begehung der Direkten Südwand des 4. Watzmannkindes („Watzmann-Jungfrau“) durch E.Sommer, F.Riegel und Grob, zu der Wellenkamp und Heinrich (1950) einen direkten Ausstieg fanden: „Die direkte S-Wand in Verbindung mit dem Wellenkamp-Ausstieg ist die zur Zeit schwierigste Route in den Berchtesgadener Alpen. (VI+), 300m, 10-12 st.“ bemerkt lapidar der Zellerführer von 1966. Über die Kletterei (nach einem der längsten Zustiege der Berchtesgadener Alpen) in teilweise splittrigem Fels mit unsicheren Haken äußerten sich die Begeher (es sind nicht allzuviele) ausnahmslos sehr respektvoll. „Plaisir-Kletterer“ wie sie dem Zeitgeist entsprechen hat die Route noch nicht gesehen.
 

 

Gegen Ende der 40er Jahre wurden noch zwei außergewöhnliche Winterbegehungen durchgeführt: Anfang März 1947 der Große Trichter durch B.v.Crailsheim und K.Hollerieth (mit vier Biwaks!) und im Januar 1949 der Salzburger Weg in der Watzmann-Ostwand durch v. Crailsheim, K.Hollerieth und Th.Freiberger. Berühmt wurde die winterliche Alleinbegehung des Salzburger Weges durch den Wahlramsauer Hermann Buhl in der Vollmondnacht vom 27. zum 28. Februar 1953 zur Vorbereitung auf die Nanga Parbat Expedition im selben Jahr. In seinem legendären Alleingang erreichte Buhl bekanntlich am 3. Juli 1953 kurz vor Sonnenuntergang als erster Mensch den Gipfel des 8125 Meter hohen „deutschen Schicksalsberges“.
 

 

Die 50er Jahre: Wo waren die Erstbegeher?

Wenig ergiebig, was die Begehung neuer Routen betrifft, waren die 50er Jahre. Die Menschen hatten wohl andere Sorgen. Eine Ausnahme bildet lediglich der Loferer Toni Dürnberger, der einige Routen an den seinem Heimatort zugewandten Wänden der Reiteralpe begeht. Bemerkenswert ist die Nordwand (Dürnberger/Herbst/Schmiderer 1951) der Alpawand, jenes unbedeutenden Randgipfels von nicht einmal 1700 Meter Höhe, der mit einer 650 Meter hohen Steilwand gegen das Alpatal hin abbricht. Die Route gehört trotz ihrer ehemaligen Bewertung von V+ zu den ernstesten klassischen Klettereien der ganzen Berchtesgadener Alpen überhaupt. Der Gedanke, dass die wenigen auffindbaren Rosthaken in den überaus steilen Rissen und Kaminen vor der Zeit der Friends und Nuts und Stoppers die einzigen Zwischensicherungen waren, mag heute noch beunruhigen. Eine gewisse Nervenstärke erfordern bereits die Latschenüberhänge des gut 200 Meter hohen Schrofenvorbaues. Voller Respekt äußerten sich auch die Begeher der Nordwand des Kleinen Bruders (V+) oder des Westwandrisses am Stadelhorn (teilw. VI), beide Dürnberger-Routen der 50er Jahre.
 

 

Der einzige gebürtige Berchtesgadener, der Zeit und Lust für Erstbegehungen hatte, war

Stefan Kellerbauer (*1930). Mit Toni Klaus gelang ihm 1954 mit der Nordwand der Nördl. Alpeltalköpfe (V+) im Göllgebiet eine reine Freikletterei mit originellen Passagen in außergewöhnlich rauhem Fels. In Verbindung mit dem direkten Einstieg (1 Seill.) ist sie ein Klassiker und Geheimtip für heiße Sommertage (nicht nach Regenfällen!). Es folgten der ebenfalls sehr lohnende Direkte Südpfeiler (VI-) des Kleinen Grundübelhorns (Kellerbauer/Hillebrand 1957), die Südwand (V/A2) des Pflughörndls (Kellerbauer/Kranawetvogel 1961) und die 180 Meter hohe Südwand (V+/A2) des Stegerturmes (Kellerbauer/Brandner 1967). Den Stegerturm, einen 20 Meter hohen freistehenden Felsturm in der Stadelmauer, betrat Kellerbauer nach Eröffnung des „Normalweges“ (VI-) mit Schröer 1952 zum ersten Mal überhaupt. 1960 beging er die direkte Westwand des Hohen Göll allein im Winter, eine Unternehmung, die bislang keine Nachahmer fand. Stefan Kellerbauer, der ab 1970 Bergführer war, stürzte bei einem Alleingang in einer kurzen Route am Kehlstein („Spiralriß“) in unmittelbarer Nähe der Busfahrstraße tödlich ab.

Die 60 er Jahre:

Werner Schertle dominiert das „Direttissimazeitalter“

Ab den den 60er Jahren führt der Reichenhaller Elektromonteur Werner Schertle (*1938) einige Erstbegehungen durch, die voll im Trend des Diretissimazeitalters liegen.

Wegbereitend für die neue Entwicklung, Routen durch steilste Wände möglichst in Gipfelfalllinie („Direttissima“) zu begehen (wobei an Haken nicht eben gespart wurde), war 1944 im Wilden Kaiser die Begehung der Fleischbank Südostverschneidung durch Peter Moser und Hans Weiss, die dort auch die ersten (zwei) Bohrhaken im Alpenraum schlugen (nach Schubert 2000, 16). Die neue „Methode“ ungangbare Stellen zu bewältigen, fand in der „Direttissima“ am Predigtstuhl (Wörndl/Hofer 1953) und der Direkten Ostwand an der Fleischbank (Noichl/Wörndl 1957) in den Ostalpen zunächst nur eine zögerliche Fortsetzung, bis sie von den Sachsen in den Dolomiten Ende der 50er Jahre etabliert wurde. In der Direkten Nordwand der Großen Zinne („Hasse/Brandler“) kamen 1958 neben 180 Normalhaken immerhin 15 Bohrhaken zum Einsatz. Weitere Direktanstiege wie die Rotwand Südwestwand (Brandler/Hasse 1958) oder die Franzosenführe an der Westlichen Zinne (Desmaison/Mazeaud 1959), ebenfalls mit Bohrhaken begangen, lösten gerade in den Dolomiten einerseits eine Flut von Erstbegehungen in dem Stil, andererseits eine so lebhafte wie andauernde Diskussion über das pro und contra von Bohrhaken aus. Wie auch immer: Mit einigen Jahren Verspätung brach das »eiserne« Zeitalter auch in den Berchtesgadener Bergen an, wobei, wie Schubert (2000, 17) nicht unrichtig feststellt, die Kletterer genaugenommen heute genauso in einem »Eisenzeitalter« stecken, nur dass das Zeug halt eben nicht mehr angefasst wird...
 

 

Die erste Neutour Schertle´s, die Direkte Pfeilersüdwand am Untersberg (mit H.Steinkötter 1962), gehört heute noch zum wildesten und luftigsten, was die Berchtesgadener Alpen an künstlicher Kletterei zu bieten haben. Nach Vorarbeiten benötigen die beiden drei Tage für den durchwegs senkrechten bis überhängenden Anstieg im nicht immer zuverlässigen Fels des abweisendsten Untersbergpfeilers. In einem glatten Wulst im unteren Wanddrittel kommt der erste Bohrhaken der Berchtesgadener Alpen zum Einsatz. Insgesamt benötigen sie für die knapp 300 Meter hohe Wand 150 Haken, 4 Keile und 7 Bohrhaken (davon 3 zur Standplatzabsicherung). Bemerkenswerterweise blieb Schertle in den Berchtesgadener Alpen über zehn Jahre der einzige Vertreter dieser damals „modernen“ Art des Kletterns. Es gelingen ihm noch eine Reihe von Routen durch steilste Wände, bei denen in einem bescheidenen Umfang meistens auch Bohrhaken zum Einsatz kommen. Immer folgen seine Anstiege jedoch den Durchstiegsmöglichkeiten, die eine bestmögliche Verwendung von Normalhaken zulassen.
 

 

Nach der Direkten Pfeilersüdwand am Untersberg folgte im gleichen Jahr (1962) noch die Westverschneidung (V+/A3) des Kleinen Watzmanns (Schertle/Enzinger), 1963 der Blausandpfeiler (VI-/A2) auf der Salzburger Seite des Untersberges (Schertle/Stadelberger) und die Wartsteinverschneidung (VI-/A1) an der Nordseite der Reiteralpe (Schertle/Steinkötter). In den Südabstürzen der Reiteralm („Ramsauer Dolomiten“) gelingen seine größten Touren: 1964 mit Klaus Werner die Direkte Südwand (V+/A3) des Großen Mühlsturzhorns, die in gerader Linie mitten durch die steilen Kalkplatten einer der besten Kletterwände der Berchtesgadener Alpen zieht. Wild sind die Routen am Kleinen Mühlsturzhorn: Schon die Zustiege zur Südwand des Ostsporns (A3/VI, Schertle/Werner 1965) und zur Direkten Südwestwand („Christlweg“, VI/A3, Schertle/Hirnsdorfer 1969) sind Unternehmungen für sich. Besonders am Christlweg erwartet den unerschrockenen Begeher bereits am Einstieg, im Schrofengelände am tiefsten Punkt unter gelb-brüchigen Wänden, von wo völlig unzugängliche Gräben bis ins Klausbachtal hinunterziehen, eine Szenerie, wie er sie wilder in den ganzen Berchtesgadener Alpen nicht finden kann. Geboten war neben einigen schauerlich brüchigen Seillängen bis zum großen Plattenband dann eine Vielzahl origineller und schwieriger Passagen in freier und hakentechnischer Kletterei. Den wenigen Begehungen (etwa 7 in 30 Jahren) werden keine weiteren folgen: Beim letzten großen Bergsturz in den Berchtesgadener Bergen am 8. September 1999 lösten sich im Gipfelbereich des Kleinen Mühlsturzhorn ca. 250 000 Fels (mitsamt dem Ausstiegskamin des Christlweges) und stürzten auf die unteren Wandbereiche. Wenige Wochen zuvor noch hatten Mitglieder der Ramsauer Bergwacht die Standplätze der reizvollen, wegen des langen Zustieges aber selten begangenen Südwand (Merkl, Bechtold, Müllritter, Bogner, 1924) in unmittelbarer Nähe der Ausbruchsstelle mit Bohrhaken saniert, wobei sie sich über die ungewöhnlich locker sitzenden alten Haken gewundert hatten...

Weitere Schertle-Routen sind der Ostpfeiler (VI-/A2) am Untersberg (Schertle/Zembsch 1966), die Südverschneidung (V+/A2) des Großen Häuslhorns (Schertle/Stutzig 1967) und ein

direkter Zustieg zum 1. Absatz des Südpfeilers (V+/A2) am Hohen Gerstfeld (Schertle/Rasp 1968 ), über den die Nürnberger A. und H.Erdenkäufer im selben Jahr einen Durchstieg mit außergewöhnlich schwierigen Passagen (VI+/A0) eröffnet hatten.

In den 70er Jahren folgen einige Freiklettereien: der Achenkopf Südgrat (Schertle/Braun-Elwert 1973) und die Grünwandkopf Südostwand (Schertle/Braun-Elwert 1973) im Göllgebiet sowie der „Renateweg“ (Schertle/Selbach 1978) und der Südwestpfeiler (Schertle/Pückert 1978) durch die 450 Meter hohe Südwestwand des Großen Mühlsturzhorns.

Die Technoroute durch die abweisende Nordwand des Feuerhörndls (VI-/A3) an der Reiteralm, die Schertle nach langwierigen Vorarbeiten mit verschiedenen Partnern schließlich 1977 mit W.Selbach vollendet, war sein letztes alpines Meisterstück. Ein Sturz im leichten Schrofengelände wenige Meter unter dem Gipfel des Hochstaufens über Bad Reichenhall

beendete am 23. Mai 1979 das Leben des bedeutendsten Kletterers des „Direttissimazeitalters“ in den Berchtesgadener Alpen.
 

 

In der „Ära Schertle“ waren natürlich auch andere aktiv. In die 60er Jahre fallen einige gewagte Soloerstbegehungen des Gerners Franz Rasp (*1940) wie z. B. die Südkamine am Hohen Gerstfeld (Rasp 1965), die mit dem Schwierigkeitsgrad V stellenweise eher unterbewertet scheinen, sowie die Südkamine und die Ostwand des Großen Grundübelhorns (IV). In der Watzmann-Ostwand gelingen ihm neben einigen im Alleingang eröffneten Varianten die ersten Winteralleinbegehungen von Kederbacherweg, Münchner Weg und Berchtesgadener Weg. Die Watzmann-Ostwand kannte der „Hasei“, wie er in Berchtesgaden genannt wurde, wie kein zweiter. Und ausgerechnet dort ereilte den jahrelangen Vorsitzenden des Internationalen Bergführerverbandes sein Schicksal: Einen Tag vor Silvester des Jahres 1988 stürzte er bei seiner 295. Ostwandbegehung auf dem Berchtesgadener Weg mit seinem Kunden aus nicht nachvollziehbaren Gründen tödlich ab.
 

 

Bereits 1962 fanden die Brüder H. und F. Schülein durch steile Risse einen direkten Ausstieg zur Gelben Mauer am Untersberg. Die gelungene Variante (damals VI-/A2) bietet heute eine beliebte Freikletterei im Grad VI+. Einsamkeit garantiert ist in ihrer Route am Predigtstuhl an der Reiteralm. In der über einen mehrstündigen Zustieg erreichbaren 120 Meter langen Südostwand (VI-/A3) waren wegen der Geschlossenheit des Felses Spezialhaken nötig.
 

 

Die 70er Jahre

Renaissance der Freikletterei unter Brandner/Krafft

So wie die Seilschaften Aschauer/Kurz in den 20er Jahren und Hinterstoisser/Kurz in den 30er Jahren das Klettergeschehen geprägt hatten, dominierte in den 70er Jahren die hervorragend aufeinander eingespielte Seilschaft Heini Brandner (*1946) und Hans Krafft (*1949) das Klettergeschehen in den Berchtesgadener Alpen. Meistens zusammen, gelegentlich auch mit anderen Partnern gelangen ihnen zahlreiche Neutouren im damals obersten Schwierigkeitsgrad. Konnten die Schertle-Routen insgesamt charakterisiert werden mit: „meistens technisch, gelegentlich frei“, so wandelte sich das Verhältnis unter Brandner/Krafft ins Gegenteil. Die beiden waren in den Berchtesgadener Bergen die wesentlichen Initiatoren einer Renaissance der Freikletterei, wie sie ab Beginn der 70er Jahre auch in anderen Alpengebieten zu beobachten war. Immer mehr Kletterer kamen offenbar zu der Meinung, dass die „Technokratie“ am Fels in eine Sackgasse der Entwicklung geführt hatte.

Mit nicht nachlassendem Eifer sammelten die beiden bis in die 80er Jahre ihre Neutouren (meist im VI.Grad, mit gelegentlichen A-Stellen), die im Folgenden einmal aufgezählt werden sollen: Südl. Alpeltalkopf Nordpfeiler (Brandner/Gröll 1968), Hoher Göll dir. Nordwestwand (Brandner/Rechler 1969) und Zickzack-Risse (Brandner/Rechler 1970) – beide heute kaum mehr begangen –, Kleiner Watzmann Neue Westverschneidung (Brandner/Rechler 1970) – eine außergewöhnlich elegante Kletterei mit einer Bilderbuchverschneidung ganz oben –, Gurrwand-Südpfeiler (Brandner/Krafft 1971) und direkte Gelbe Mauer (Brandner/Krafft 1972) am Untersberg – letztere ihr Meisterstück... umgeben von einem Nimbus sagenhafter Schwierigkeiten galt sie lange als schwierigste Kletterei weit und breit, teilweise spärlich abgesichert mit schlechten Haken, die zweite Begehung gelang 1974 dem Münchner Bruno Friedrich mit Gef. im dritten Anlauf, danach nur wenige Begehungen, seit 1997 „saniert“ (VI+/A0 oder VIII), die nahe Südwand (III+) bietet (abschreckende) Einblicke –, dir. Nordwand der Nördl. Alpeltalköpfe (Brandner/Meissner 1971) – die ersten 20 Meter ohne Möglichkeit einer Zwischensicherung wurden mit VI+ bewertet! –, eine Variante in der Alpa-Nordwand (Krafft/Rechler 1973), Westwandrisse (VI+) am Kleinen Watzmann (Brandner/Krafft 1973), Südpfeiler (Krafft/Brandner 1973), Südwandriss (1973) und Südriss (1979) am Gr. Mühlsturzhorn – lohnend ist besonders der Südpfeiler –, Südl. Alpeltalkopf Nordwand (Brandner/Meissner 1974), Pflughörndl Südverschneidung (Krafft/Brandner/Meissner 1975), direkte Nordwand der Alpawand (Krafft/Meissner 1976) – ein außergewöhnlicher Anstieg durch die 650 Meter hohe Alpawand, unterer Teil nicht ganz fest und teilweise etwas grasig, nach einer Seill. hakentechnischer Kletterei (heute VII) großartige Freikletterei durch die markante Riesenverschneidung –, Schönwandeck-Ostpfeiler (Krafft/Meissner 1976) – einsam und kaum wiederholt, etwas für wahre Alpinisten –, Südostkante des Kleinen Grundübelhorns (Brandner/Krafft 1977), Alpa Nordverschneidung (Brandner/Krafft 1978) – kein Vergleich zur dir. Nordwand –, Kleiner Bruder dir. Nordwand (Krafft, Brandner 1978), Pfeilerrisse am Untersberg (Brandner/Krafft 1978) – eine kurze aber bemerkenswerte Risskletterei, glatt VI, in Verbindung mit dem Schülein-Ausstieg zur Gelben Mauer eine tolle Tour! –, „Werner-Schertle-Gedächtnisführe“ am Dürreckberg (Brandner/Krafft 1979), Edelweißlahner Südpfeiler (Brandner/Krafft 1979), sowie am Kleinen Watzmann die Jubiläumsverschneidung (Brandner/Krafft 1981), erstbegangen am 6. 6. 1881, genau 100 Jahre nach der Erstbegehung der Watzmann-Ostwand. Schließlich, 1983, legen die beiden noch einen drauf und begehen am Blausandpfeiler des Untersberges die „Plattenführe“ (VII/A0). Beide unternahmen auch schwierigste Bergfahrten in den Dolomiten und Westalpen (zum Teil in außergewöhnlich schnellen Begehungszeiten) wie auch außergewöhnliche Wintererstbegehungen, und waren als Mitglieder der Bergwacht Berchtesgaden bei spektakulären Rettungsaktionen an vorderster Stelle im Einsatz. Anders als so viele, die über einen längeren Zeitraum die Maßstäbe im Klettern setzten, leben beide heute noch.
 

 

Natürlich waren Brandner und Krafft nicht die einzigen, die in den 70er Jahren Erstbegehungen durchführten. Es tauchen da noch andere Namen auf, die zwar nicht so viele Neuanstiege vorzuweisen haben, deren Routen jedoch den von Brandner/Krafft eröffneten in keiner Weise nachstehen. Ein höchst bemerkenswerter Anstieg gelingt z. B. R.Bülter und K.Stör 1971 mit der Direkten Südverschneidung am Großen Mühlsturzhorn. Geboten ist bis zur Mündung in die (alte) Südverschneidung von Lobenhoffer und Gef. (1948) eine höchst elegante und ausgesetzte Kletterei durch eine feine Verschneidung (VI/A2 oder VII), in der Passagen des glatten VI. Grades zwischen den Haken zu klettern sind. Erstbegeher war jener Bülter, der mit M.Gröll bereits 1967 die Südverschneidung des Großen Grundübelhorns begangen hatte, eine riesige Verschneidung, der (neben der Direkten Mühlsturzkante und dem Kleinen Trichter am Göll) die Ehre einer Aufnahme ins bekannte Buch von W.Pause und J.Winkler (1970) zuteil wurde. Die „Pause-Tour“, die trotz des langen Zustiegs früher nicht selten begangen wurde, sieht heute kaum noch Kletterer.
 

 

Gerade in den 70er Jahren machten einige „Drausdige“ (= Auswärtige, d.h. jenseits der Grenzen des Passes Hallthurm beheimatete Menschen) mit außergewöhnlichen Neutouren von sich reden (nachdem auffallenderweise bis dahin kaum Spitzenkletterer von außen mit diesem Anliegen in die Berchtesgadener gekommen waren). 1971 kletterten die in Reichenhall stationierten Sepp Babl und Sepp Mack ihre zwei höchst anspruchsvolle Pfeilerrouten in der

Göll-Westwand. Der „Westwandpfeiler“, vormals VI/A2, ist wegen der zunehmenden Zahl ausgebrochener nicht nachgeschlagener Haken heute mit VII-/A2 (bzw. IX-) bewertet. Die Führerliteratur empfiehlt dem konventionellen Begeher freundlich die Mitnahme eines Stockes „als verlängerten Arm“ zum Einhängen der Trittleiter in die Bohrhakenleiter der gnadenlos ausgesetzten Gipfelwand. Die Abstände sind wahrlich famos, wie sie geschlagen werden konnten, bleibt mysteriös... Auch der linke der beiden Pfeiler, der mit VI-/A3 bewertete „Trichterpfeiler“, überrascht den Besucher mit weiten Hakenabständen und einem trickreichen Seilzugquergang. Bei freier Kletterei erhöhen sich die Schwierigkeiten auf VIII+. Im selben Jahr begingen die beiden noch die Nordostverschneidung des Wartsteins an der Reiteralm. Auch dieser Anstieg gibt Rätsel auf: Wie sonst als mit modernen Klemmgeräten ist die 35 Meter hohe glatte Rissverschneidung der ersten Seillänge absicherbar?! Haken stecken so gut wie keine, die Schwierigkeiten werden heute mit VII- / VII angegeben! Wer die Sache im Griff und einige „friends“ am Gurt hängen hat, findet jedenfalls eine außergewöhnlich elegante Kletterei in bestem Fels vor. Die Spuren des legendären Neuulmers Sepp Mack verlieren sich nach der Bundeswehrzeit in den Berchtesgadener Bergen. Das Bergsteigen gab er aber offensichtlich nicht auf: Wie man hörte, stand er 14. Oktober 1978 als zweiter Deutscher (nach Reinhard Karl) am Mount Everest. Der Reichenhaller Heeresbergführer Sepp Babl stürzte bei einem Gleitschirmflug vom Hochstaufen im Winter 1993 tödlich ab.
 

 

Eine Klassetour gelingt dem jungen Traunsteiner Karl Schrag 1973 mit Sepp Trippacher an der Wartsteinwand (Reiteralm Nordseite): Die „Sepp-Rieser-Gedächtnisführe“ zieht in idealer Linie mitten durch eine der steilsten und plattigsten Wände der gesamten Berchtesgadener Alpen. Egal ob einer die 350 Meter hohe Route konventionell (VI/A1) oder frei (bis VIII) klettert, die Erwartungen an den Klettergenuss dürfen ganz oben angesetzt werden. Bereits 1968 beging Schrag mit Toni Kallsberger am gleichen Berg die „Karl-Bierdimpfl-Gedächtnisführe“, ebenfalls eine lohnende, etwas im Schatten der vorgenannten stehende Route. Mitte der 80er Jahre wird die Wartsteinwand noch einmal ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

 

Von München rücken 1974 die „Rosaroten Panther“ (so der Name des Kletterclubs) J.Kaufhold, P.Trommer und S.Gschwendtner an und begehen im Göllgebiet die zunächst unter dem markigen Namen „Tetterrisse“ veröffentlichte Route. Die Namensgebung beruht auf einem Kartenfehler, der Taderer (Tetter) steht im Kar daneben. Auch wenn die Route nun als „Südwandrisse des Grünwandkopfes“ im Führer steht, ist sie deshalb kein bißchen leichter geworden. Die Riß- und Verschneidungskletterei im glatten VI. Grad mit zwei Schlingenständen muß größtenteils selbst abgesichert werden. Kein einheimischer Kletterer hatte der bis zu 600 Meter hohen, etwas abseits stehenden Wand bis dahin seine Aufmerksamkeit geschenkt. Die Begehung der Münchner sorgte für eine gewisse Unruhe unter den Berchtesgadener Platzhirschen, die sich aber bald wieder legte, als keine weiteren Aktionen zu verzeichnen waren.
 

 

Ein vergleichbarer Streich gelang dem Bischofshofener Albert Precht. Er, der auf der Hochkönig-Südseite Dutzende Erstbegehungen vorlegte, war, was Erstbegehungen betrifft, im nördlichen Teil seiner Bergheimat offensichtlich weniger umtriebig.

Als er jedoch 1979 anlässlich einer Begehung der Dürnberger-Route in der Alpa-Wand feststellen musste, dass die linke der beiden riesigen Verschneidung dort noch unbegangen war, fuhr er wohl nur noch nach Hause, um einige Haken einzupacken. In einer handstreichartigen Aktion gelang ihm mit W.Sucher an einem Föhntag im November des Jahres 1979 mit einer Handvoll Haken die immerhin noch 11 Seillängen lange „Prechtvariante“. Begeher sollten sich im VI. Grad sicher fühlen!
 

 

Last not least darf sich der Autor selbst in die Reihe der Erschließer der 70er und frühen 80er Jahre einreihen. Noch im Schulalter wurde mit jugendlichem Elan der linke Wandteil der Hirschwieskopf Nordwand an der Reiteralm angegangen. Das Ergebnis, die Direkte Nordwand VI-/A1 (R.Goltermann/A.Hirschbichler 1975) bietet vorwiegend freie Kletterei mit einigen hakentechnischen Passagen. Eine von dem ausgesprochenen Klettertalent Rüdiger Goltermann bei der Erstbegehung frei gekletterte Stelle (mindest. VI+) wurde nach dem Flug eines namhaften Wiederholungsaspiranten aus Traunstein durch einen Haken entschärft. Wie die Jungfrau zum Kind kamen Hans Niederberger und A. Hirschbichler 1976 zu einer Neutour am Hohen Göll, als sie sich anlässlich eines Begehungsversuches des Trichterpfeilers entschlossen, nach der ersten Seillänge anstelle des Seilquerganges gerade hoch in Richtung des Kleinen Trichters zu probieren und nach vier Seillängen reiner Freikletterei in bestem Fels tatsächlich das untere Trichterende erreichten. Der „Direkte Kleine Trichter“ (V+) im zentralen Wandteil der Göll-Westwand entwickelte sich, besonders in Kombination mit dem rechten Ausstiegskamin, zu einer beliebten Tour. Als Zustieg zum eigentlichen Einstieg, zum „Warmklettern“, empfehlen sich statt der alten Westwand die ersten fünf Seillängen der Kleinen Trichter-Führe. In den 80er Jahren folgten dann unter anderem die „Neue Nordwand“ (VI-/A2) der Nördl. Alpeltalköpfe (Meissner/Hirschbichler 1980) und drei Routen am Häuslhorn: der Südpfeiler, die Südrisse (beide Jostl/Hirschbichler 1981) und die „Zauberplatten“ (Hallinger/Hirschbichler 1982). Der sanierte Südpfeiler V+ („Reichenhaller Pfeiler“) bietet eine nette Alternative zur klassischen Häuslhorn Südwand. In der Familie des Autors scheint ein „Klettergen“ tief verankert zu sein. So fand der Autor, Sohn des 1959 am Batura I (7785 m) im Karakorum verschollenen Berchtesgadener Bergsteigers Albert Hirschbichler, der in den 50er Jahren zu den führenden der Region zählte, mit dem Sprießen der ersten Barthaare eine Gebirgsleidenschaft in sich vor, die ihn mehr als 25 Jahre ins Gebirge und in Routen des VI. Grades führte, ohne dass ihn die Schwerkraft jemals wesentlich zu Fall hätte bringen können. Bis zum 29. 5. 1997: Ein Mißverständnis im Klettergarten (einer glaubt, der andere hat Stand und löst die Sicherung, der andere hat die Umlenkung eingehängt und belastet das Seil in der Erwartung abgelassen zu werden...) führt zum freien Fall über 28 Meter, den die Wirbelsäule samt Rückenmarksnerven nicht unbeschadet überstehen konnten, sodass nun Alternativen zum geschätzten Klettersport gefragt sind... Die Schwester, Barbara Hirschbichler, kletterte Ende der 80er Jahre bis zum 10. Grad, bis sie ihre Aktivitäten mehr auf´s Höhenbergsteigen verlagerte. Im Herbst 2001 gelang ihr mit dem Daulaghiri ihr dritter Achttausender.
 

 

 

Die 80er Jahre

Rotpunkt und der VII. Grad

Hintergrund:

Ab den 30er Jahren bis in die 70er Jahre hinein hatte der Klettersport bei genauerer Betrachtung nirgendwo in den Alpen eine rechte Weiterentwicklung erfahren. Das gilt auch für die Berchtesgadener Berge. Obwohl namhafte Erschließer von Neutouren bemüht waren, die Schwierigkeiten bisheriger Anstiege mindestens zu erreichen, möglichst aber zu übertreffen, spätestens im Grad VI+ gingen die Bemühungen fließend über in A0, A1, A2 usw. (– auch wenn nachweislich der untere, vielleicht auch der glatte VII. Grad in Einzelfällen schon geklettert wurde). Das änderte sich schlagartig, als Helmut Kiene und Reinhard Karl am 2. Juni 1977 durch die heute berühmten Pumprisse am Fleischbankpfeiler kletterten. Die von ihnen „clean“, also nur mit Klemmkeilen gesicherte Route bewerteten sie unmissverständlich mit VII.

Ein Jahr später (1978) beschloss die UIAA offiziell die längst fällige Öffnung der seit 1926 bestehenden Schwierigkeitsskala (I-VI) nach oben.

Eine völlig neue Epoche nahm ihren Anfang. „Freiklettern“ hieß die Devise. Haken, Klemmkeile und andere Hilfsmittel durften nur noch zur Sicherung, nicht aber zur Fortbewegung verwendet werden. Es kam zu einer wahren Leistungsexplosion. Binnen weniger Jahre steigern sich die kletterbaren Schwierigkeiten zum VIII. und IX. Grad.

Die 80er Jahre

Der VII. Grad in den Berchtesgadener Bergen: Rudi Klausner und

die Seilschaft Köppl/Hallinger

Der Ramsauer Lorenz Köppl und die Schönauer Michael Hallinger (beide *1961) und Rudi Klausner gehörten Anfang der 80er Jahre zu den ersten, die die Grundgedanken der Freikletterbewegung in den Berchtesgadener Bergen in die Tat umsetzten – wobei, wie man sagen muss, gerade hier die Widerstände der „Traditionalisten“ unter den Kletterern gegen die neue Bewegung nicht unerheblich waren. Es dauerte nicht lange, bis einige alte Anstiege mit Hakenpassagen frei (alle VI+ bis VII) bzw. a.f. geklettert werden konnten (bekannte Beispiele: Kleiner Trichter am Göll, „Schülein-Ausstieg“ zur Gelben Mauer, Südwestwand und Direkter Barthkamin am Untersberg, , (alte) Mühlsturzkante, Westwandriss (Dreher/Kurz) und Westverschneidung (Schertle) am Kleinen Watzmann, Wartsteinkante an der Reiteralm).

Bemerkenswert ist, dass die „Direkte Gelbe Mauer“ von Brandner/Krafft (1972) erst im Frühjahr 1981 ihre 3. Begehung durch die Seilschaft Köppl/Hallinger erhielt – die 4. Begehung gelang dem Autor im Herbst des gleichen Jahres mit R.Klausner (auf dem Weg zum Einstieg war zweimaliges Verlassen des Weges in die Büsche nötig). Den ersten Neuanstieg im VII. Grad in den Berchtesgadener Bergen eröffneten Rudi Klausner und Sepp Aschauer in der Westwand des Kleinen Watzmanns („Sakrisches Eck“, VII-) im Jahr 1981. Die Route weist allerdings sehr inhomogene Schwierigkeiten auf und wird heute kaum mehr begangen. Frühe Höhepunkte von freien Begehungen älterer Routen waren 1983 die ersten freien Begehungen der Sepp-Rieser-Gedächtnisführe (VIII-, Hallinger/Köppl) sowie der Direkten Südwand (VIII-, Klausner/Köppl) und Direkten Südkante (VIII-, M.Leinauer/B.Hirschbichler) am Großen Mühlsturzhorn.

Überliefert ist die erste Reaktion eines älteren Lokalmatadors (dessen Kompetenz für den VI. Grad außer Frage steht), als die erste freie Begehung der direkten Südwand am Mühlsturzhorn vermeldet wurde: „frei nie, vielleicht ohne Leiter´l...“ Wer noch nicht den Blick hatte für feinste kletterbare Felsstrukturen und die entsprechenden (dynamischen) Bewegungsabläufe, dem blieb der VIII. Grad musste der VIII unbegreifbar bleiben. Einige Erstbegehungen der frühen 80er Jahre in den Berchtesgadener Bergen gehen auf das Konto der Seilschaft Hallinger/Köppl, so die Routen „Trespass“ (VI-/A1) am Großen Grundübelhorn, „Miraculix“ (VI+/A1) und „Spekulatius“ (V+) am Kleinkalter, Requiem (VI+) am Rotpalfen. Eine bereits 1980 begangene Variante zum Direkten Kleinen Trichter über eine Wasserrille in glattgeschliffenem Fels („Heiße Rille“ – eigentlich wollte Hallinger die Sache nach 5 Meter abbrechen, konnte aber nicht mehr zurück) erfordert zweifellos ebensolchen Mut wie die Schlüsselseillänge einer 1983 in der Häuslhorn Südwand eröffneten Variante: Der äußerst kompakte Fels lässt bei der Kletterei im glatten VI. Grad kaum Zwischensicherungen zu. Ein bemerkenswerter Anstieg gelang den beiden mit der Route „Aquarius“ in den Südabstürzen des Kleinen Archenkopfes (Göllgebiet). Die mit V+ eher unterbewertete Kletterei durch unvergleichliche Wasserrillen wurde 1982 völlig „clean“, also ohne einen Haken zu schlagen, erstbegangen. Die Route wird heute als beliebte extreme Genusskletterei oft wiederholt. Gott sei Dank keine Wiederholung (bzw. einen entsprechenden Versuch) fand die erste Skiabfahrt über die Hocheck-Ostwand (im Sommer bis IV), die die beiden 1982 in ihrer Sturm-und-Drang-Zeit neben anderen Steilwandabfahrten in ihren Heimatbergen unternahmen. In einen wahren Erstbegehungsrausch verfielen die Österreicher H.Wallinger und M.Schwaiger 1986 im Gelände links und rechts der „Aquarius“ und begingen in kurzer Zeit drei Neuanstiege bis VII-/A0.
 

 

Im Jahr 1982 taucht ein Name auf, der das alpine Sportklettern in den Berchtesgadener Alpen

bis heute maßgeblich mitbestimmt: Richard Koller. In den frühen Jahren noch mit S.Maltan unterwegs, gelingen dem Oberauer zunächst Routen wie „Kreuzfidel“ (VI, 1982) am Kleinen Watzmann, „Genußspecht“ (V, 1983) am Großen Mühlsturzhorn oder die „Neue Südwand“ (VI-, 1983) ebenfalls am Großen Mühlsturzhorn. Es handelt sich aber noch nicht um „typische“ Sportklettereien, weil es mehrfach noch technische Stellen zu überwinden gilt.
 

 

1984 treten zum ersten Mal die Gebrüder Thomas und Alexander Huber („Huber-Buam“, *1966 und 1968) aus Palling (Nähe Traunstein) in Erscheinung, die später Meilensteine in der Kletterei setzen werden. Ihre ersten Erstbegehungserfahrungen sammeln sie im „Rauhnachtstanz“ (VI+, A.u.Th.Huber, 1984) und in der „Amokspur“ (VII-, Th.Huber/F.Mussner 1984) in der Wagendrischelhorn-Südwestwand.
 

 

Für Aufsehen sorgt 1985 ein neuer Anstieg am Untersberg. Mit der „Direkten Westwand“ eröffnet der Gerer Hans Renoth am Untersberg erstmals eine Route von oben nach unten. In monatelanger „Arbeit“ seilt er sich zumeist allein in die stark überhängende Wand und setzt Dutzende von Bohrhaken. Am Anfang fand die Route (A2/VI-) evtl. wegen des Stils der Erstbegehung wenig Beachtung. Nachdem man aber erkannt hatte, dass sich die Hakenkletterei in eine hervorragende Freikletterei im Grad VII+/VIII- verwandeln lässt, entwickelte sie sich bald zu einer der beliebtesten alpinen Sportkletterrouten in den ganzen Berchtesgadener Alpen. 1986 sieht das Große Mühlsturzhorn wieder einmal Erstbegeher: Neben der „Südkurve“ (VII) von Wolfgang Palzer und Annemarie Pfnür ist vor allem die Route „Gnadenlos“ (VII-) von Michael Hallinger, Rudi Brandner und Gerhard Horn zu nennen. Der Name ist bezeichnend für die von unten mit wenigen Haken eröffnete Route durch den kompaktesten Teil der Mühlsturz-Südwand. In der ersten Seillänge muss mit Stürzen bis zum Boden gerechnet werden. Oben sind zusätzliche Sicherungsmöglichkeiten zu den spärlichen Haken fast nicht anzubringen (evtl. Microkeile). Bis heute wurde nur eine vollständige Wiederholung bekannt (F.Fendt/M.Grassl ???). Die wenigen weiteren Begehungsversuche wurden spätestens im oberen Teil, wo man zur Lobenhofer-Route queren kann, wegen „kompletter psychisch-physischer Erschöpfung“ (Wortlaut eines Betroffenen: L.Köppl) abgebrochen. Im selben Jahr (1986) durchsteigen Richard Koller und Rudi Brandner die Rotpalfen-Ostwand auf einer neuen Linie („Donnerwetter“) im wegweisenden Grad

VII+/VIII-. Zum ersten Mal wird die Route in einem Stil eingerichtet, wie er später bei extremen Erstbegehungen allgemein üblich wurde: Sichere Bohrhaken werden von meist mehr oder weniger schlechten Fixpunkten (Haken, Klemmkeilen, Skyhooks etc.) aus gesetzt. Erst nach der Erschließung kann die Route nach mehr oder weniger langen Bemühungen „Rotpunkt“ geklettert werden.
 

 

Ab Mitte der 80er Jahre richten sich die Aktivitäten der Neulandsucher ganz besonders auf zwei Wände: die Südwestwand des Wagendrischelhorns und die Nordabstürze der Reiteralm.

In den sonnigen Platten der ersteren entstehen nach „Rauhnachtstanz“ und „Amokspur“ weitere Freikletterrouten: „Atlantis“ (F.Mussner/G.Wallner, VII+, 1985), „Nix für unguat“ (W.Kurzeder/A.Eidam, VII, 1987) oder „Schmittchen Schleicher“ (A.Huber/R.Weizbauer, meist VII, Stelle IX, 1987) bieten durchwegs eher kurze, dafür umso steilere Platten- und Wasserrillenklettereien in bestem Fels. Bedeutsamer aber werden die Wände zwischen dem Feuerhörndl und der Wartsteinwand an der Reiteralm. Ins Jahr 1984 fällt der Beginn einer jahrelangen Erschließung von Routen jenseits des VII. Grades mit den „Huber-Buam“ als Hauptakteuren, deren vorläufigen Höhepunkt die von Th.Huber 1994 Rotpunkt begangene Route „End of silence“ (X+) am Feuerhörndl darstellt. Doch der Reihe nach: Die Eröffnung von „Sundance Kid“ (VII, Stellen A2/A3, 3xCliffhänger, Th.Huber/F.Mussner 1984),

„Dave Lost“ (bis VII, A.u.Th.Huber 1986), „Utopia“ (bis VIII, A.u.Th.Huber 1986) oder die 300 Meter hohe, von unten ohne vorheriges Erkunden eingerichtete Route „Vom Winde verweht“ (A.u.Th.Huber 1987) mit Schwierigkeiten bis X- (3 Seill. im IX., 2 im VIII. und 3 im VII. Grad) waren zweifellos Meilensteine nicht nur in den Berchtesgadener Alpen. Nach den Routen in der Wartsteinwand folgte „Siddharta“ (IX- Passage, oft VIII, kaum unter VII, A.Huber/F.Mussner 1987) als erste von drei neuen Routen am Feuerhörndl. Nebenbei liefen die Versuche der „Huber-Buam“ in der Göll-Westwand, in der 1989 nach Fertigstellung der Route „Scaramouche“ mit anschließender Rotpunkt-Begehung (Sept. ´89) die wahrscheinlich erste Route des X. Grades im Gebirge überhaupt eröffnet wurde. Fünf von sieben Selllängen erreichen den IX. Grad! Wiederholungen (a. f.) wurden bis dato drei bekannt. An der Reiteralm folgten am Feuerhörndl „Monstermagnet“ (ca. X+, A.u.Th.Huber u.a. – Rotpunktbegehung steht noch aus) und am benachbarten Wartstein „Soulrider“ (bis X-, A.Huber/G.Wallner 1990) in der in weiten Teilen überhängenden südwestlichen Begrenzungswand der bekannten Wartsteinkante. Hier weisen die Erstbegeher freundlich darauf hin, dass auch im schwierigen Gelände weite Hakenabstände in Kauf genommen werden müssen. Sechs Jahre (1986-1992) dauerte die Erschließung der 350 Meter hohen „End of Silence“ (X+ bzw. 8b+). Nach 9 Seillängen im VIII., IX. und X.Grad erwartet den Begeher erst die Schlüsselseillänge im oberen X. Grad. Nachdem er 20 Tage allein in der Wand zum „Ausbouldern“ der Route verbracht hatte, gelang Thomas Huber im August ´94 die erste Rotpunkt-Begehung. Bis heute weist der Anstieg drei Wiederholungen (wer???) auf. Die erste „Trilogie“ der drei alpinen Toprouten im Alpenraum, zu der neben „End of Silence“ „Silbergeier“ (B.Kammerlander) im Rätikon, und „Des Kaisers neue Kleider“ (St.Glowacz) im Wilden Kaiser gehören, gelang Stefan Glowacz (wann??). Ins Jahr 1992 fällt Alex Hubers Begehung (Rotkreis) der 1 Seillängen-Route „Om“ (XI bzw. 9a) in der Göll-Westwand.

Namhafte Bewerber konnten die Passagen zwar einzeln, aber nicht durchgehend klettern, sodass eine Wiederholung noch aussteht. Wie man hörte, brach irgendwann ein winziges Felszäckchen (die Bezeichnung Griff wäre abwegig) aus, was unter den wenigen Berufenen zu lebhaften Diskussionen darüber führte, ob die Route noch dieselbe sei. Die Meinungsverschiedenheiten dauern an, einmal mehr gilt der Satz: »Die Wahrheit wissen nur die Götter«. Seit 1995 betreiben die Huber-Buam das Bergsteigen als Beruf. Aufsehenerregende Unternehmungen in Amerika und im Himalaya, gemeinsam oder mit anderen Partnern begangen, wurden weitbekannt: „Salathe“ (8a+, 1996), „El Nino“ (8a+, 1998) und „Golden Gate“ (5.13b, 2000) am El Capitan, Yosemite; 1997 Latok (7108m) Westwand („the Wall“); 2000 Shivling (...) dir. Nordpfeiler „Shiva´s Line“ (VII/A4); Im Winter 2000 verewigte sich Alexander an der Westlichen Zinne („Bellavista“, IX-/A4, solo). Ein Jahr später beging er die Route frei (XI). Der erste XIer in einer großen Alpenwand erwartet noch die Bestätigung durch Wiederholer. Im Juli 2001 stand Thomas (mit ...) nach Bezwingung des Südpfeilers am vielumworbenen Ogre (7285m) im Karakorum.
 

 

Aber auch außerhalb der Reiteralm Nordseite tat sich einiges.

Anspruchsvolle alpine Anstiege, die einen geübten Umgang mit Klemmkeilen erfordern, eröffnen 1988 M.Hallinger und R.Brandner am Blausandpfeiler/Untersberg („Nadelkissen“, VII+) und R.Brandner mit R.Koller in einer Variante zur klassischen Südwestwand von Hinterstoißer/Kurz („Untersbergmanndl“, VII). In der Gurrwand finden die beiden Wettkampfkletterer Franz Koller und Bernhard Wolf (der später unter tragischen Umständen in einer Lawine am Kehlstein ums Leben kam) die mit Bohrhaken spärlich abgesicherte Route „Frei wie der Wind“ (VII+). Ihre Route „Cheyenne“ in der oft überhängenden Nordwand des Südlichen Alpeltalkopfes (Göllgebiet) (VIII+, F.Koller/B.Wolf 1990) kann als Markstein der Klettergeschichte in den Wänden um Berchtesgaden angesehen werden. Die Schlüsselstellen liegen zwischen den Haken! 1989 greift der Königsseer Michael Graßl in das Klettergeschehen ein. Vor allem mit Richard Koller glücken, vorwiegend am Untersberg, zahlreiche Erstbegehungen die bei den Sportkletterern auch heute noch beliebt sind (z. B. „Schwarzer Sheriff“, VII-). Ein frühes Highlight legen die beiden mit der Route „Eiskalt“ vor: Auch in der mit VIII- unterbewerteten 2. Seillänge (tatsächlich ist sie IX-) steckten kaum Haken, sodass Stürze bis zum Boden nicht ausgeschlossen waren. Eine Begehung für nicht Lebensmüde konnte erst nach einer grundlegenden Sanierung 1995 empfohlen werden. 1989 erwähnenswert ist noch die Graßl/Koller Route „Blaueistraum“ am Rotpalfen (VIII-), der ein Jahr später „Walk of Life“ (VII/VII+) folgt. In der gleichen Wand entstehen 1990 und 1993 zwei ausnahmsweise nicht von Berchtesgadenern eröffnete Routencreationen: „Wellenreiter“ (bis VIII-, Runouts im VII. Grad) und „Seele brennt“ (180 m , 1 Seill. IX-/IX, Rest VIII) der Münchner Digi Langen und Michael Karl.
 

 

Die prallen Südwände des Berchtesgadener Hochthrons (Untersberg) boten bis Ende der 90er Jahre weiteres Neulandpotential. Wenig Wiederholungen fanden „Robbi, Tobbi und das Fliwatüüt“ (VII+, M. Grziwatsch/B. Illguth, 1993) am Südostpfeiler und „Child of Sun“ (bis IX, R.Brandner/M.Graßl 1994) im Bereich der direkten Gelben Mauer, wohingegen sich „Zeichen der Zeit“ (VIII+ bzw. VII/A0, R.Koller/G.Benischke 1995) und „Just for Fun“ (bis VIII-, M.Graßl/R.Koller 1996) im westlichen Wandteil bald zu beliebten alpinen Sportklettereien entwickelten. Die letzten beiden sind mit Bohrhaken vorzüglich abgesichert. In der Nähe des direkten Barthkamins entstand von 1996 bis 1998 schließlich noch die anspruchsvolle 9 Seillängen-Route „Barbarossa“ (IX+) der Traunsteiner Ossi Praxenthaler und Sepp Wermuth.
 

 

Auf der Salzburger Seite des Untersberges, im Bereich der Doppler Wand eröffneten in erster Linie Salzburger Kletterer

»Der Weg ist das Ziel« lautet das Motto von Sportkletterrouten, bei denen am Ende der Schwierigkeiten sogleich wieder – meist über die Route – abgeseilt wird. Als typische Beispiele können „Don Promillo“ (bis VII-, D.Brandner/Th.Schöbinger 1989) oder „Abendrot“ (bis IX, M.u.Chr.Klaus 1991) in den Plattenschüssen der Göll-Südwestwand links der bekannten Westwand oder „Schattenspiele“ (VII+, G.Benischke/R.Koller 1991) in der benachbarten Dürreckberg Nordwand genannt werden.
 

 

Als wahres Dorado für Erstbegehungen erweist sich ab 1992 die Göll-Gipfel-Südwestwand oberhalb der sogenannten „Umgänge“. Hier entsteht – zum Teil von oben – eine ganze Reihe von beliebten alpinen Platten-und Wasserrillenklettereien, die im Frühjahr gut mit einer Skitour kombinierbar sind. Vor allem die Berchtesgadener Michael Bannert, Florian Birkner und Thomas Schöbinger sowie die Salzburger Peter Lengauer und Hans Stangassinger waren hier aktiv. In den Graden V+ bis VII- entstehen Routen mit phantasievollen Namen wie „Leuchtspur“, „Plattfuß“, „Beinhart“, „Herbstvergnügen“, „Wrackpfeiler“, „Apres Ski“, „Sense“, „Locker vom Hocker“ oder „Hans im Glück“.
 

 

Aber auch in den klassischen Wänden werden immer noch Neutouren entdeckt. 1999 eröffnet Wolfang Palzer mit seinem Bruder Franz am Großen Mühlsturzhorn den „Mühlsturzsprint“, eine mit Bohrhaken (aber nicht im Stil der „Plaisir-Routen“) abgesicherte Plattenkletterei im Grad VII, wenn einmal A0 geklettert wird. Und sogar in der Watzmann-Ostwand wurde 50 Jahre nach dem „Berchtesgadener Weg“ noch eine Linie gefunden: Der Franz-Rasp-Gedächtnisweg (VI, M.Graßl/P.Hundegger/Lisa Mayer 1997) links des Salzburger Weges erinnert an den im Winter 1988 abgestürzten Bergführerpräsidenten.
 

 

In den 90er Jahren bis heute wurden noch Dutzende weitere Neutouren eröffnet,

auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann. Ihre Auflistung soll späteren Chronisten Aufgabe und Zeitvertreib sein.

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