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12. Durchsteigung der Eiger-Nordwand vor 50 Jahren: Zur Erinnerung

Im Juli 1953 gelang den Reichenhallern Erhard Riedl und Albert Hirschbichler die 12. Begehung der berüchtigten Eiger-Nordwand.

Vom 22. bis 24. Juli 1938 durchstiegen bekanntlich Anderl Heckmaier, Wiggerl Vörg, Fritz Kasparek und Heinrich Harrer erstmals die 1800 Meter hohe Wand, in der bis dahin 9 Tote zu beklagen waren.

Auch danach rückte die Wand immer wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit und sie tut es bis heute. Die besten und bekanntesten Bergsteiger der damaligen Zeit – Terray, Lachenal, Buhl, Rebuffat, Magnone, um nur einige zu nennen – folgten den Erstbegehern. Gefürchtet waren vor allem der Steinschlag und Wetterstürze. Immer wieder kam es zu Katastrophen. Bei den ersten 96 Besteigungen waren 39 Tote zu verzeichnen!

Viel von ihrem Nimbus verlor die Wand im Zeitalter der Hubschrauber-Bergungen. Anders als früher, da bei Wetterstürzen oder sonstigen Zwischenfällen riskanteste Rückzüge fällig wurden, gehören heute Windenbergungen aus praktisch allen Passagen der Route zur Routine.

1985 durchstieg Christophe Profit – unterstützt von einem Hubschrauber, der ihn zu den Einstiegen flog – an einem Tag alle drei großen Nordwände der Alpen: Eiger, Matterhorn und Grandes Jorasses... Kürzlich war die Live-Übertragung einer Eiger-Nordwand-Durchsteigung im Fernsehen zu sehen, die momentan gültige Rekordzeit für die klassische Heckmaier-Route stellte ein Alleingänger im März 2003 auf: 4:30 Std... (Berichtigung ab 2018: 2:28). Die Zeiten sind andere... Wie ganz anders eine Besteigung vor 50 Jahren ablief, das wird aus den Tagebuchaufzeichnungen unseres Vaters Albert Hirschbichler (verschollen seit April 1959 am Batura I, Karakorum) vorstellbar, die im Folgenden unverändert abgedruckt werden.

1. - 17. August 1953

Eiger Nordwand

1. August. Nach umfangreicher Packerei ist es endlich soweit, das Gepäck reist mit dem Zug, wir mit dem Fahrrad. Am Samstag Früh bei Regen gehts los, Ziel St. Johann. Um 2 Uhr kommen wir dort an, müssen auf den Zug längere Zeit warten, dann gehts über Innsbruck, Arlberg nach Feldkirch, Ankunft 7 Uhr. Nun sind wir wieder selbst der Motor. Bald passieren wir die Schweizer Grenze, fahren dann noch ein Stück weiter, bis wir zufällig ein billiges Heulager finden.

2. August. Eben führt die Straße durch Liechtenstein, zeitweilig regnet es, auf schöner Betonstraße, dann am Walensee entlang, wo wir uns auch ein wenig verfahren. Nach sehr steiler und langer Schieberei erreichen wir die Straße wieder. In steilen Kehren führt sie hinunter in die Ebene, langweilig durch mehrere Ortschaften, am Zürichsee dann entlang, bis in Pfäffikon ein steiler und langer Berg beginnt. Schnell gehts drüben hinunter zum Zuger See. Über Küssnacht nach Luzern, am Vierwaldstätter See entlang zum Sarner See. Abend ist es schon geworden, bei einem Bauern machen wir richtig Brotzeit, denn nun beginnt die Steigung zum Brünigpass. Es beginnt dann zu regnen, was es nur regnen kann, weit oben verschwindet die Straße im Nebel. Nach stundenlangem Schieben haben wir endlich die Passhöhe erreicht. In steilen Haarnadelkurven gehts drüben hinunter nach Brienz. Hier finden wir gleich ein günstiges Quartier, ein Zimmer das nichts kostet, weil wir auf dem Boden schlafen. -

3. Aug. Starker Regen, heute ist Rasttag. Nachmittags hörts auf, da fahre ich nach Interlaken spazieren.

4. Aug. Das Wetter wird schöner, es geht weiter. Nach Interlaken scheint die Sonne, die Berge sind in Wolken gehüllt. Da, auf einmal ragt hoch über den Wolken ein weißer Gipfel heraus, der Eiger, rufen wir uns zu, es war aber ein anderer Berg, jedoch ist in uns ein neuer Geist gefahren, Auftrieb in jeder Faser, gegen Mittag haben wir Grindelwald erreicht. Der erste Weg ist zum Bahnhof, die Kiste ist nicht da, wir sind auch so schwer genug beladen, als wir den recht steilen Weg nach Alpiglen emporwandern. Unsere Wand ist ganz in Nebel gehüllt, so gespannt wir auch sind, keinen Blick gönnt uns die erwartungsvoll Begehrte. Über Almrosenhänge führt unser Weg zum letzten ebenen Platz unter den Geröllfeldern. Hier deponieren wir alles, was wir nicht brauchen, in einem Zeltsack unter Steinen und steigen bis unterhalb Alpiglen ab, wo wir uns in einer leeren Heuhütte ein Lager richten.

5. Aug. Gegen Morgen ist es ziemlich kalt geworden, golden schimmert es durch alle Ritzen, Erhard stößt die Tür auf, und da steht „sie“ vor uns in ihrer ganzen Majestät. Weiß bis über die Hälfte herunter ragt sie in den tiefblauen Morgenhimmel. Lange können wir nichts tun als nur schauen, denn sie ist gewaltig! Gegen Mittag gehen wir nach Grindelwald, jedoch kein Gepäck ist da, gedrückt schleichen wir wieder hinauf zu unserer Alm. Eine Sennhütte haben wir heute gefunden mit einem kleinen Heulager unterm Dach, wir wohnen fast elegant.

6.-9. Aug. Jeder Tag gleicht jetzt fast dem anderen. Schönes Wetter, nur manchmal bewölkt, nie aber regnet es. Morgens Aufstehen, gemütlich waschen, kochen (wir leisten auf diesem Gebiet Bewundernswertes), nach dem Essen ist es dann Zeit hinunterzugehen zum Bahnhof, natürlich nichts, wieder hinauf, dann wird die Zeit ausgefüllt mit Erdbeeren oder Blaubeeren pflücken, die es hier in jeder Menge gibt. Wir sprechen von einem Erholungsurlaub in der Schweiz und werden jeden Tag verzagter. Dabei ist unsere Umgebung einfach großartig. Die weiten Almwiesen mit den verwitterten Hütten verstreut, darüber der Wald und dann alles überragend die gewaltige Wand. Auf der anderen Seite das Tal mit seinen weitverstreuten Häusern, darüber die steil zum Eisgipfel sich aufschwingende Felskante des Wetterhorns – Von Wert waren diese Tage bestimmt auch, denn es braucht viel, um so eine Wartezeit ruhig zu ertragen. In der Abendstimmung dann die Stunden der Besinnung, in denen man der Natur und allen Gedanken weit offen gegenübersteht – Außerdem bessern sich die Verhältnisse in der Wand mit jedem Tag.

10. Aug. Wie gewöhnlich gehen wir gegen Mittag hinunter und heute ist sie da, die ersehnte Kiste. Es geht los! Schnell wird umgepackt und dann hinauf zum Zeltplatz unter der Wand, das Zelt wird aufgeschlagen, gekocht und alles für Morgen hergerichtet. Und da wird Erhard komisch... Er kann nichts essen, erbricht sich, wir hoffen, dass es bis morgen besser wird...

11. Aug. Um 3 Uhr stehe ich auf und fange mit dem Kochen an. Kalt und sternklar ist die Nacht. Erhard ist im selben Zustand wie gestern, jedoch weil die Chance einmalig ist, gehen wir halt. – Spät ists und schon lange hell (5 Uhr), als wir die Geröll- und Schneefelder zum Einstiegsband hinaufgehen. Bis zum 2. Pfeiler gehts leicht über Geröllbänder und Wandstufen. Dann kommt eine überhängende Wandstelle, wo wir gleich ordentlich an das Gewicht der Rucksäcke und an die Schwierigkeiten des Aufseilens erinnert werden. Wir halten Musterung, doch alles was wir haben brauchen wir notwendig. Jedenfalls verbinden wir uns mit beiden Seilen und hängen etwas Schlosserei um, es geht etwas besser. – Der Fels besteht jetzt aus festem Kalk, die Kletterei ist ziemlich schwer und mühsam das Aufseilen des Rucksacks. Erhard trägt den seinen selbst. – Über die Richtigkeit des Weges sind wir im Unklaren, kein Haken ist zu sehn. Wieder gehts über einen Überhang, da stehe ich überraschend am Beginn des Hinterstoisser-Quergangs. Schnell kommt Erhard nach. Ich hänge das Quergangsseil ein, am schwierigsten Stück hängt ein altes Seil und erleichtert die Sache, der Rest ist reines Reibungsklettern. Vom Stand nach dem Quergang geht´s kleingriffig über geschliffene Platten zu einer überhängenden Wandstelle, bald wäre ich hier heruntergefallen, denn ein Tritt bricht aus. Nachsichern, über ganz glatte, abwärtsgeschichtete Platten führen die nächsten Seillängen, ohne Griff des öfteren, nur der Reibung der Klettersohlen vertrauend. Erhard trägt beide Rucksäcke und leistet Unglaubliches. Dann beginnt das Eis. An wackligen Standhaken, auf Reibung auf den Platten stehend, werden die Schuhe gewechselt und die Eisen angeschnallt. Vorsichtig sind die ersten Schritte über das brüchige Scholleneis, dann zügig jeder zwei Seillängen. Abend ist´s schon geworden, die Strahlen der untergehenden Sonne treffen uns und auch die oberen Wandpartien, von wo des öfteren jetzt Eis und Steinbrocken herabpfeifen. Zum Essen hatten wir noch keine Zeit, zum erstenmal nehmen wir zwischendurch etwas Schokolade und Traubenzucker in den Mund. – Nach 15 Seillängen stehen wir am Ende des Eisfeldes und finster wird es auch schon. Schnell die Eisen ausgezogen, dann taste ich mich durch einen steilen Riß empor, Erhard schindet sich mit den Rucksäcken herauf, noch eine Seillänge, zu sehen ist fast gar nichts mehr, da finden wir durch unser Spezialglück eine schmale Kanzel, auf der wir beide ganz schön sitzen können. Standhaken schlagen, umziehen, essen, dann ins „Bett“. Die Nacht ist ganz erträglich, wenns recht kalt wird, trinken wir etwas Schnaps.

12. Aug. Ungemütlich ist das Aufstehen, gut dass wir angebunden sind, sonst würden wir vor Steifheit hinunterfallen. Bis wir bereit sind zum Weitergehen dauert es seine Zeit. 2 Sell. über Felsen zum Beginn des 3. Eisfeldes. Dieses ist sehr steil und muss gequert werden. Erhard führt heute mehrere Seillängen durch die Rampe halb Fels halb Eis bis zum Wasserfallüberhang. Schuhe wechseln und Eisen anziehen ist das nächste, denn ein Eisüberhang vermittelt den Ausstieg aus der Rampe. Mit Hilfe mehrerer Eishaken wird er überwunden. Wir sind jetzt am Eisfeld und über den Beginn des Götterquerganges im unklaren. Einmal queren wir schon hinaus, müssen aber zurück. Also das Eisfeld weiter hinauf, das Eis verengt sich zu ganz schmalen Rinnen, diese enden unter einer 10 m hohen überhängenden Wandstufe, über die lustig ein Wasserfall herabschießt. Von unten siehts nicht so schlimm aus, ich probiers mit dem Rucksack. Gleich merke ich, es geht nicht, also hinunter und den Rucksack dagelassen. Ein paar Meter bin ich oben, da bricht mir ein großer Block aus, auf dem ich stand, gerade noch kann ich den Absturz vermeiden. Einen Haken bringe ich hinein, dann muß ich aber schnell weiter, das Eiswasser macht die Finger gefühllos, ich bin am Ende. Immer so knapp vor dem Hinunterfallen komme ich doch noch hinauf. Erhard versucht mit beiden Rucksäcken nachzukommen, doch bald merke ich, wie sich die Seile jäh straffen, es geht einfach nicht, bald hätte er sich aufgehängt. Also Aufseilen, dann sind wir wieder vereint, beide ziemlich fertig, denn zu Essen gabs gestern nicht viel und heute nichts außer etwas Traubenzucker. Wir bringen durch die Anstrengung nichts mehr hinunter. – Eine steile Eisquerung, dann fast senkrechtes Scholleneis auf einen Pfeilerkopf, das wäre der Weiterweg, weiter sieht man nicht. Es wäre an sich nicht so spät, 6 Uhr, doch wir wissen, sollte der Weg auch richtig sein, es folgt lange nichts als Eis, kein Biwakplatz. Also richten wir uns zum Übernachten ein. Stundenlang versuche ich, aus dem brüchigen Gestein einen Sitzplatz herauszuschlagen, das Ergebnis ist ein Fleck, auf dem gerade einer sitzen kann. Hier zwängen wir uns hinein, angehängt und verspreizt, durch und durch nass erwarten wir die Nacht. Eine finstere Wolkenwand schiebt sich von Westen herauf, die Ungewissheit des Weiterweges, dazu die körperliche Verfassung, die Umstände sind geeignet, sehr ernste Gedanken zu erwecken. ––

13. Aug. Die Nach könnte man schon drei Tage später nicht mehr so beschreiben wie sie war. – Nach dem Aufstehn stehen wir vollkommen steif herum, langsam richten wir uns her. Alles ist grau vor Nebel und es fängt zu regnen an. Erhard führt die nächsten Seillängen, ich wäre nicht imstand dazu, kaum dass ich die Füße in die Höhe bringe. Da sehen wir einen Haken, mehrere Seillängen queren wir noch das Eis, dann sehen wir schon in die Spinne hinein. Der Nebel reißt auf, blauer Himmel überall, unter uns wogen die Wolken, bald den Blick ins Tal freigenbend, das unwirklich weit unter uns liegt. Auch der Alphornbläser ist wieder zu hören, der uns schon 2 Tage unermüdlich mit seinen Melodien begleitete. – 2 Seillängen abwärts in die Spinne, im Eisfeld aufwärts, dann zum Beginn der Ausstiegsrisse. Hier essen wir eine Schachtel Ovomaltine, das einzige, was wir neben Wasser heute zu uns nehmen. – Erhard kann mit seinen Griffeisen nicht klettern, also gehe ich wieder voraus. Der erste Riss ist gleich stark vereist, mehrere Haken schlage ich, bis ich hinter einem Eisschild einen guten Stand finde. Teilweise über Eis, des Öfteren überhängend führen die Risse hinauf. Auch einige Haken stecken jetzt. Weiter oben wird der Fels trocken und die Kletterei wäre schön, wenn wir nicht durch die nasse Kleidung sosehr behindert würden. Dann sitzen wir auf einer Gratrippe, über uns nur mehr das Gipfeleisfeld, zwar am Anfang noch sehr steil und blank, weiter oben steil firnig. Langsam lässt die große Spannung nach und macht einer tiefen Müdigkeit aller Glieder Platz. Um 8 Uhr stehen wir auf dem Gipfel des Eiger, fast 4000 Meter hoch, ohne alle Gedanken, ein Händedruck ohne Worte, das ist alles. Da finden wir eine Tüte mit drei Äpfeln, die wohl jemand vergaß, wir stürzen uns darauf und hätten mit nichts auf der Welt getauscht. – Dann machen wir uns an den Abstieg, über Platten und Geröll suchen wir uns den Weg. Halb unten wird es finster, schon schimmern die Lichter der Station herauf, da müssen wir noch ein drittes, bitteres Biwak in Kauf nehmen. Aus einer Geröllhalde arbeite ich mit dem Pickel eine Vertiefung heraus, wir kriechen noch einmal in den unangenehmen Zeltsack. In dieser Nacht frieren wir uns die Füße ein wenig, denn wir sind so müde, dass wir nichts mehr spüren.

14. Aug. Nach mehreren Stunden Abstieg sind wir wieder unter Menschen. Mitleidig sehen uns diese an, denn mit unseren eingefallenen Gesichtern sehen wir indischen Hugerkünstlern gleich. Wir begeben uns ins Restaurant, bestellen für 20 Mark zu essen, das umgehend geliefert und von uns verräumt wird. Dann wird draußen ein Seil aufgespannt, alle Sachen aufgehängt und wir legen uns auf einen ebenen Platz (dass es sowas noch gibt) in die Sonne. –

Nach Mittag gehen wir langsam und vorsichtig (man merkt jetzt wie mitgenommen die Füße sind) hinunter zum Zelt. Nach umfangreichen Brotzeit- und Trinkgelagen wird gepackt, jeder einen Kleiderschrank auf dem Rücken steigen wir zu unserer Almhütte ab. Kaum sind wir in der Hütte, da bricht ein starkes Gewitter los, bis hier herunten hört man es aus der Wand donnern. –

15. Aug. Das Wetter ist wieder schön. Gegen Nachmittag gehen wir hinunter nach Grindelwald, geben das Gepäck auf, einen Blick noch auf die Eisriesen ringsum, dann lassen wir den Rädern ihren Lauf und bald sind wir in Brienz bei unseren freundlichen Quartiergebern.

16. Aug. Die gleiche Strecke fahren wir, es ist zurück genauso mühsam wie her. Des öfteren regnet es, einmal verlieren wir uns, doch wohlbehalten kommen wir spät Nachts bei unserem Heulager an.

17. Aug. Wieder ist herrlichstes Wetter, frisch und neugewaschen ist alles, als wir durch das letzte Stückchen Schweiz fahren. Mit dem Zug wieder durch Österreich, um 8 Uhr Abends sind wir daheim, tatsächlich und trotzdem. –

Es war für mich ein Erlebnis, dem kein zweites auch nur annähernd gegenüberstehehn könnte, ernst und hart, eine Sache, die man auf keinen Fall ein zweites Mal machen würde, und trotzdem, es reut mich nie! –

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