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Der Ausflug

Eine Geschichte mit mehreren möglichen Enden

(geschrieben nach dem Unfall, als ich noch nicht recht wusste für was ich noch da bin...)

Ein Rollstuhlfahrer steigt in sein Auto. Er startet. Er legt den Gang ein. Er weiß wo er hin will. Er kann seine Beine nicht bewegen. Er bedient das Auto mit den Händen. Er fährt über eine weite Ebene. Die Landschaft wird immer kahler. Die Sonne glüht vom Himmel. Ein Parkplatz am Rande des Abgrunds. Er hält. Unten ein See. Kein Geländer. Kein Mensch weit und breit. Der See glitzert wie flüssiges Silber. Er lädt seinen Rollstuhl aus. Er fährt nah an die Kante. Der Rollstuhlfahrer sitzt ganz ruhig. Er blickt über den See. Er blickt in die Weite. Die Sonne geht unter. Dämmerung macht sich breit. Es wird kühler. Schwarze Nacht schließlich. Der Rollstuhlfahrer sitzt reglos. Keine Sterne. Kein Mond. Kein Laut. Die Zeit ist stehengeblieben. Er ist allein auf der Welt. Er ist völlig gelassen. Er fürchtet nichts mehr.

Er löst die Feststellbremse des Rollstuhles. Er fährt einen Meter vor. Er stellt die Bremse wieder fest. Ringsherum alles schwarz. Er sieht keinen Boden mehr. Er ahnt die Tiefe. Die Kante das Ende der Welt.
 

 

Ende 1:

... Irgendwann reicht es ihm. Er fährt heim und geht ins Bett.
 

 

Ende 2

... Irgendwann reicht es ihm.

Er macht sich auf den Weg nach Hause.

Er fährt bis zum nächsten Bahngleis...

(nicht sehr originell)

 


Ende 3

... Eine ungeheure Gelassenheit ergreift den Rollstuhlfahrer.

Er löst die Feststellbremse noch einmal... Er hört ein Geräusch. Er dreht sich um.

Er sieht eine Frau, so schön wie er noch nie eine gesehen hat. Die Frau trägt ein schwarzes Kleid. Sie geht auf ihn zu, sie lächelt, kommt langsam näher. Sie steht neben ihm. Er berührt ihre Hand, spürt ihre samtweiche Haut, kann ihr Parfüm riechen. Sie beugt sich zu ihm. Er begehrt diese Frau wie er nie zuvor eine Frau begehrt hat. Ihr Mund nähert sich seinem. Er schließt die Augen. Die Frau gibt ihm einen sanften Schubs...

(auch nicht sehr originell...)

 


Ende 4

... Die Kante das Ende der Welt. Er löst die Feststellbremse erneut. Da hört er ein Geräusch. Er dreht sich um. Neben seinem Auto steht ein anderes Auto, scheinbar aus dem Nichts. Ein Porsche. Er hört eine Stimme wie Donnerhall: »...Für 100 000 Mäuse gehört er ihnen, Sonderpreis... Modell 993 Targa, nur 16 000 km gefahren, irisblaumetallic, Ledersitze in Raffleder nachtblau, Cd-Radio mit digitalem Soundsystem, Sportfelgen, Motorsoundpaket, 286 PS, in 6 Sekunden von Null auf Hundert« ... »Abgemacht« sagt der Rollstuhlfahrer.

»Aber fahren sie vorsichtig«... »Da können Sie Gift drauf nehmen«...

 

 


Ende 5

(das versöhnlichste Ende):
 

 

Die Entscheidung

(Bühnenstück aufgeführt im Gasthaus Saalachtal anlässlich der Feier meines 50 Geburtstages)


Mitwirkende:

Rollstuhlfahrer

Stimme aus dem Nichts

Chor der Engel

 


Requisiten ein Porsche
 

 

(Nochmal von vorn:)

Der Rollstuhlfahrer steigt in sein Auto. Er startet. Er legt den Gang ein. Er weiß wo er hin will. Er kann seine Beine nicht bewegen. Er bedient das Auto mit Handgas und Handbremse. Er fährt über eine weite Ebene. Die Landschaft wird immer kahler. Die Sonne glüht vom Himmel. Ein Parkplatz am Rande eines Abgrundes. Er hält. Unten ein See. Kein Geländer. Kein Mensch weit und breit. Der See glitzert wie flüssiges Silber. Er lädt seinen Rollstuhl aus. Er fährt nah an die Kante. Der Rollstuhlfahrer sitzt ganz ruhig. Er blickt über den See. Er blickt in die Weite. Die Sonne geht unter. Dämmerung macht sich breit. Es wird kühler. Schwarze Nacht schließlich. Der Rollstuhlfahrer sitzt reglos. Keine Sterne. Kein Mond. Kein Laut. Die Zeit ist stehengeblieben. Er ist allein auf der Welt. Er ist völlig gelassen. Er fürchtet nichts mehr.

Er löst die Feststellbremse des Rollstuhles. Er fährt einen Meter vor. Er stellt die Bremse wieder fest. Ringsherum alles schwarz. Er sieht keinen Boden mehr. Er ahnt die Tiefe. Die Kante das Ende der Welt. Er löst die Feststellbremse noch einmal...

Auf einmal: Leichter Wind kommt auf. Schwarze Wolken ziehen rasch näher. Am Horizont schwefelgelbes Wetterleuchten. Urplötzlich bricht das Inferno los. Die Elemente rasen. Der Wind peitscht. Der Regen praßelt. Die Blitze zucken. Der Donner grollt. Die Lüfte orgeln. Der See brodelt. Die Gischt tost. Die Wellen rollen. Der Boden bebt. Die Erde stöhnt. Das Firmament ächzt. »Mist!... Der Weltuntergang, ausgerechnet jetzt!... Aber Wurscht ist es auch...« denkt sich der Rollstuhlfahrer. Plötzlich Stille. In seinen Schläfen pocht das Blut. Sein Kopf ist voll und leer zugleich. Ihm schwindelt. Der Rollstuhlfahrer schließt die Augen, in Erwartung einer letzten ungeheuren Explosion, die alles in Stücke reißen wird.

Nichts tut sich... »Kruzitürken, wie lang soll das noch dauern... wenn sie schon untergehen muß die Welt, dann bitte gleich!...« Er hört ein Geräusch, hinten, wo sein Auto steht... Er dreht sich um. Neben seinem Auto ein schwarzer Schatten. Er ist wie benommen. Er erkennt ein anderes Auto. Sieht aus wie ein Porsche...
 

 

(erhabene Stille)
 

 

Plötzlich eine Stimme aus dem Nichts:

Carrera, Targa, Tiptronic, irisblaumetallic, Sitze in Raffleder, Cd-Radio, digitales Soundsystem, 286 PS, Tachostand 16000...
 

 

(Stille)
 

 

der Rollstuhlfahrer      (verdattert) Was ist mit dem Weltuntergang?

Stimme                       Hat Zeit.

der Rollstuhlfahrer      Wäre nett.

Stimme                       Gefällt er ihnen?

der Rollstuhlfahrer      Mein Jugendtraum.

Stimme                       Hab´ ich mir gedacht.

der Rollstuhlfahrer      Der Preis?

Stimme                       Hunderttausend.

der Rollstuhlfahrer      Zu teuer.

Stimme                       Bei der Ausstattung!

der Rollstuhlfahrer      Trotzdem.

Stimme                       In 6 Sekunden von Null auf Hundert.

der Rollstuhlfahrer      Nicht übel.

Stimme                       Was machen wir jetzt?

der Rollstuhlfahrer      Keine Ahnung.

Stimme                       Wär´ doch was für sie...

der Rollstuhlfahrer      Ich nehm´ ihn und fünf Minuten später geht die Welt unter...

Stimme                      Vielleicht...

der Rollstuhlfahrer     Ein Kuhhandel.

Stimme                      Vertrauen sie mir!

der Rollstuhlfahrer     Wäre ewig schade um das Auto.

Stimme                      Vertrauen ist angesagt.

der Rollstuhlfahrer     In das Auto komm´ ich doch gar nicht rein...

Stimme                      Wenn sie wollen schon.

der Rollstuhlfahrer     Behindertengerechter Umbau?

Stimme                      Kein Problem.

der Rollstuhlfahrer     Steuer und Versicherung?

Stimme                      Werden sie nicht kleinlich jetzt.

der Rollstuhlfahrer     Muß sie nicht gleich untergehen, die Welt?

Stimme                      Nicht unbedingt. Hängt von ihnen ab.

der Rollstuhlfahrer     Von mir? Die ganze Welt?

Stimme                      Nur von ihnen. Sie nehmen ihn und es geht weiter oder sie

                                 nehmen ihn nicht und... Puff!...

der Rollstuhlfahrer     (schluckt) Sein oder Nichtsein, die alte Frage.

Stimme                      Die Mutter aller Fragen.

der Rollstuhlfahrer     Vor Verantwortung hab ich mich immer gedrückt.

Stimme                      So sehen sie aus.

der Rollstuhlfahrer      (schweigt)

Stimme                      Es muß etwas geschehen.

der Rollstuhlfahrer     Immer diese Entscheidungen.

Stimme                      Lassen sie sich ruhig Zeit.

der Rollstuhlfahrer    Wie man´s macht, ist´s verkehrt...

Stimme                     Meistens.

der Rollstuhlfahrer     (schluckt)

Stimme                     Seit 2000 Jahren wartet die Menschheit auf den jüngsten Tag...

der Rollstuhlfahrer    Und?

Stimme                      Die Welt steht in Saft und Kraft wie nie zuvor.

                                 Die Luft erbricht sich fast vor Fruchtbarkeit.

                                 Die Börsenkurse steigen ins Unermeßliche.

                                 Die Propheten haben sich geirrt.

der Rollstuhlfahrer     Wenn Sie es sagen...

Stimme                      Aber jetzt reicht es langsam.

der Rollstuhlfahrer    Wenn man bedenkt, was dabei herausgekommen ist.

Stimme                     Eben.

der Rollstuhlfahrer    Der Mensch ändert sich nicht.

Stimme                     Bringen wir es hinter uns.

der Rollstuhlfahrer    Die Ewigkeit naht.

Stimme                     Die Erlösung steht in´s Haus.

der Rollstuhlfahrer    Das schwarze Nichts.

Stimme                     Schließen sie die Augen! Halten sie sich die Nase zu!

                                 Und halten sie die Luft an! So tun sie sich leichter...

                                 Gleich explodiert das Universum.

der Rollstuhlfahrer    Ich bin schmerzempfindlich.

Stimme                     In Sekundenbruchteilen ist alles vorbei.

                                 Die Atome rasen in das All.

                                 Raum und Zeit zerfallen.

                                 Alles wird wie nie gewesen sein.

der Rollstuhlfahrer    Das ist ja ekelhaft.

Stimme                      Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir.

der Rollstuhlfahrer    Wenn ich Blut sehe wird mir schlecht.

Stimme                     Reißen sie sich zusammen.

der Rollstuhlfahrer    Einen Augenblick noch.

Stimme                     Haltung bitte!

der Rollstuhlfahrer    Moment.

Stimme                     Was wollen sie noch?

der Rollstuhlfahrer    Eine kleine Probefahrt.

Stimme                     Muß das sein?

der Rollstuhlfahrer    Bitte darum.

Stimme                     Gut. Aber in 15 Minuten sind sie wieder da...

 


Der Rollstuhlfahrer besteigt mit Mühe den tiefergelegten Porsche.

Beim Losfahren quietschen die Reifen.

15 Minuten später
 

 

der Rollstuhlfahrer Ich nehm´ ihn doch...

 


Von oben ertönt laute Orgelmusik.

Ein Lichtstrahl fällt durch ein Wolkenloch und beleuchtet das Porscheauto.

Die Metalliclackierung funkelt in mystischem Glanz.

 


Chor der Engel Halleluja, Halleluja, Sacklzementhalleluja...

 


                                                                                                        A. H. 12/99

So ein Porsche-Wägelchen macht sich auch im Almgelände ganz gut

Porsche 993:

der letzte Luftgekühlte

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