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Anmerkung

Die Beschäftigung in einer Rehaklinik für Atemwegskranke legt es nahe, sich mal ausführlich und Patienten-verständlich mit dieser Frage auseinanderzusetzen.

Der Beitrag erschien in der Patientenzeitschrift für Atemwegskranke "Luftpost" im Frühjahr 2017, (25. Jahrg. S.12-15). 

Asthma und Psyche

In dem Beitrag geht es um eine vieldiskutierte Frage, nämlich um die Bedeutung seelischer Einflüsse bei der Asthmakrankheit.

Hat Asthma psychische Ursachen?

Die anfallartige Atemnot beim Asthma hat nach Ansicht vieler Menschen „viel mit der Psyche zu tun“. Das gilt für Angehörige wie Betroffene gleichermaßen. „Wie Pech klebt der Glaube von der psychischen Verursachung an der Asthmakrankheit...“, so formuliert es Prof. D. Nolte († 2002), zu Lebzeiten einer der bekanntesten Lungenfachärzte Deutschlands.

Asthma galt lange Zeit als „psychosomatische“ Krankheit. Psychosomatisch (von gr.: Psyche = die Seele / Soma = der Leib, Körper; die psychosomatische Medizin behandelt die Wechselwirkungen zwischen beiden). „Psychosomatisch“ wurde häufig mit „psychogen“ verwechselt, was bedeuten würde, dass Asthma „rein seelische“ Ursachen hätte.

Bei asthmakranken Kindern wurde z. B. behauptet, dass das Fehlverhalten der Mutter („überbehütende Mutter“) die Krankheit verursacht (!) habe. „Die Schuld am Asthma des Kindes ist in vielen Fällen bei den Eltern zu suchen, die einer echten Liebe nicht fähig sind und das kranke Kind dann kompensatorisch mit übertriebener Ängstlichkeit, Besorgnis und Bevormundung umgeben. Störungen der häuslichen Atmosphäre sind bei Asthmakindern fast immer zu finden...“ heißt es z.B. in einem Patientenratgeber aus den 1970er Jahren. Aussagen dieser Art haben es Familien mit einem oder mehreren asthmakranken Mitgliedern oft sehr schwer gemacht.

Grundsätzlich gilt: Asthma ist eine körperliche Krankheit, bei der die Psyche eine Rolle spielen kann.

Die Definition von Asthma lautet sinngemäß: „anfallartige Atemnot auf dem Boden überempfindlicher Bronchien durch chronische Entzündung“. Die entzündungsbedingte Überempfindlichkeit und damit das krankhaft übersteigerte Reagieren der Bronchien des Asthmatikers auf alle möglichen Reize (Staub, Rauch, kalte Luft etc.) sind die körperliche Grundvoraussetzung („Körperschwachstelle“), dass man diese Krankheit überhaupt bekommen kann.

Ein rein seelisches Asthma gibt es somit definitionsgemäß nicht!


Wie kann die Psyche den Verlauf der Krankheit beeinflussen?

Die Überempfindlichkeit kann erblich vorgegeben oder (z.B. durch häufige Infekte) erworben

sein. Ist sie gegeben, beeinflussen verschiedene Faktoren den Verlauf der Krankheit. Grundsätzlich unterscheidet man allergisches von nichtallergischem („intrinsic“) Asthma.

Häufige Allergene beim allergischen Asthma sind Tierhaare, Pollen und Hausstaubmilben (genauer gesagt deren Exkremente).

Auslöser für nicht allergisches Asthma können sein: Infekte, allgemeine („unspezifische“) Reize (s.o.: Staub, Rauch, kalte Luft u.a.) , körperliche Anstrengung („belastungsinduziertes Asthma“), nicht zuletzt aber auch die Psyche (Stress, Konflikte etc.).

„Krankheiten entstehen häufig an körperlichen Schwachstellen in den Krisen eines Menschen und zwar dann wenn seine seelischen Widerstandskräfte erschöpft sind.“ So beschreibt V. von Weizsäcker, einer der Pioniere der psychosomatischen Medizin, seine Erfahrungen als Arzt. Besonders bedeutsam in diesem Zusammenhang sind Konfliktsituationen, die lange andauern und unlösbar erscheinen. Erfahrungsgemäß ist es so, dass Menschen, bei denen die Psyche bei der Entstehung und beim Verlauf eine wesentliche Rolle spielt, das Gespür für Zusammenhänge zwischen Körper und Seelenleben verloren haben. Sie tun das nicht absichtlich, sondern weil sie nie gelernt haben, Konflikte wahrzunehmen und auszudrücken. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man seelisch stabil genug dafür ist. Der Blick nach innen kann sehr schmerzlich sein. Das ist auch der Grund, warum Menschen Probleme, Konflikte oder Gefühle aus ihrem Bewusstsein verdrängen. Allerdings mit dem Risiko, dass sich die seelische Konfliktspannung auf der Ebene des Körpers bemerkbar macht. „Krankheit als Weg“ lautet der Titel eines bekannten Buches (R. Dahlke), in dem kranken Menschen nahegelegt wird, Krankheit nicht nur als Pech oder Schicksal zu verstehen, sondern als Anlass, sich einmal wieder mit seiner Lebenssituation auseinander zu setzen. Nicht immer wird psychische Mitbeeinflussung eine Rolle spielen. Aber Fragen wie:

  • Warum bin ich ausgerechnet jetzt krank?
  • Welches Problem könnte am ehesten etwas damit zu tun haben?
  • Welche Gewohnheiten meines Lebensstils fördern meine Krankheit?

sollten in der Auseinandersetzung mit einer Krankheit nicht außen vor gelassen werden.

Studien in einer Hamburger Klinik haben ergeben, dass vor Asthmaanfällen nicht selten typische Konfliktkonstellationen bestehen:

  • Stress und Ãœberforderung, oft aus Unfähigkeit, sich abzugrenzen oder Nein zu sagen
  • Streit mit Angst vor Verlust von Zuwendung oder Angst Verlassen zu werden
  • „Hinuntergeschluckte“ Wut, Aggressionen, die nicht ausgedrückt werden konnten
  • Situationen, in denen sich die Betroffenen nicht wehren konnten.

Demnach wäre das Bemühen um einen „gesünderen Umgang“ mit oben genannten Konfliktbereichen neben den Medikamenten bei asthmakranken Menschen eine weitere Möglichkeit der Behandlung.

Der „Sinn“ von Krankheit?

Bei dem Versuch, Krankheiten zu verstehen, kann man auch die Fragen stellen:

  • Welchen Sinn könnte die Krankheit haben?
  • Ist sie nicht auf irgendeiner Ebene zu etwas gut?

Der Gedanke mag zunächst aberwitzig erscheinen, kann aber in der persönlichen Auseinandersetzung mit einer Krankheit durchaus lehrreich sein. Vorausgesetzt dass man ehrlich genug zu sich selbst ist. Das Konzept des primären und sekundären Krankheitsgewinns geht auf Sigmund Freud zurück, den Begründer der Psychoanalyse. Beim sogenannten primären Krankheitsgewinn geht es um die „Verwandlung“ seelischer Konfliktspannung in körperliche Symptome. Unter sekundärem Krankheitsgewinn versteht man die mit einer Krankheit verbundenen „Vorteile“ wie körperliche Schonung, Ruhe, vermehrte Beachtung, Entlastung etc. Werner Zenker, übrigens selbst Asthmatiker, führt in seinem Buch „Mit Asthma leben lernen“ ganz ähnliche Gedanken an: In einem Kapitel „Asthma als Mittel zum Zweck – Erpressen Sie nicht Ihre Umwelt!“ weist er darauf hin, dass es wie allen chronisch Kranken „auch uns Asthmatikern naheliegt, die Krankheit als Argument zu benutzen, um Ziele zu erreichen, die mit dem Asthma überhaupt nichts zu tun haben...“. Krankheit kann beispielsweise benutzt werden als Ausrede oder zur Vermeidung unangenehmer Dinge oder Aufgaben. Mit Krankheit kann Druck auf andere Menschen ausgeübt werden, sie kann als Hilfsmittel zur Erreichung von Aufmerksamkeit und Zuwendung eingesetzt werden. Bei asthmakranken Kindern sind solche Verhaltensweisen recht oft zu beobachten („jetzt huste ich solange bis die Mama wieder ans Bett kommt“). Es geht hier nicht darum, kranken Menschen nicht kleine Vorteile aus einer Krankheit zu gönnen. Eine Gefahr besteht allerdings darin, dass Krankheit zum „leichten Weg“ aus Konfliktsituationen wird und bessere Lösungsstrategien nicht gelernt werden. Der Kranke „braucht“ seine Krankheit dann evtl. auch noch, wenn er von der körperlichen Seite her gesund sein könnte.

Fragen die weiterhelfen können sind zum Beispiel:

  • Wozu könnte meine Krankheit trotz allem gut sein?
  • Gebrauche ich sie manchmal als Ausrede und Entschuldigung
  • Wo hilft sie mir, unangenehme Pflichten oder Dinge, die mich überfordern, zu vermeiden?
  • Setze ich die Krankheit manchmal als Druckmittel zur Durchsetzung meiner Ziele (z.B. in der Partnerschaft) ein?
  • Erfahre ich als Kranker mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung als in gesunden Zeiten?


Die Auffassung vom Körper als „Spiegel der Seele“ und vom „Sinn von Krankheit“ sollte nicht überstrapaziert werden. Nicht hinter jeder Krankheit und nicht hinter jeder Verschlechterung müssen seelische Probleme stecken. Bei manchen Patienten ist die Psyche kaum oder gar nicht, bei anderen wieder sehr stark am Krankheitsgeschehen beteiligt. Eine Verallgemeinerung nach dem Motto: „Wer krank ist, muss auch (unbewusste?) Probleme haben“ ist unhaltbar. Genauso falsch ist es aber auch, die Möglichkeit einer Beteiligung derartiger Einflüsse überhaupt nicht in Erwägung zu ziehen. Die Erfahrung zeigt Fälle, bei denen nach einer Veränderung von Lebensumständen langjährige Beschwerden in kürzester Zeit verschwanden.

Asthma und Angst

Das Gefühl, die Luft abgeschnürt zu bekommen und hilflos nichts gegen das Ersticken tun zu können, gehört zum Schlimmsten, was einem Menschen überhaupt widerfahren kann. Dass Angst eine natürliche Reaktion auf derartige Erlebnisse ist, lässt sich nur zu gut verstehen. Die Angst bei einem akuten Asthmaanfall ist zu unterscheiden von der Angst vor der Möglichkeit eines Anfalls in beschwerdefreien Phasen.

Angst bei akuter Atemnot

Zur Angst bei einem Anfall: Es besteht die große Gefahr, dass sich Patienten durch Panikreaktionen und falsches Verhalten (z.B. „pumpen“ statt Lippenbremse) selbst erst so richtig in einen Anfall hinein steigern. Andererseits genügt oft schon die Nähe eines Arztes, das Aufziehen einer Spritze und die damit verbundene Beruhigung, Atemnot wesentlich zu lindern.

So verständlich die Angst bei Atemnotanfällen ist, so wichtig wäre es aber auch, möglichst die Ruhe zu bewahren. Wie kann das gelingen? Als erstes ist es sicher sehr wichtig, möglichst genau zu wissen, was bei einem Anfall in den Bronchien überhaupt passiert und zweitens, wie man richtig darauf reagieren kann. Ein umfassendes Wissen über die Wirkung von Medikamenten und Selbsthilfetechniken und die Erfahrung, dass man sich damit auch wirklich helfen kann, sind wohl die besten Mittel gegen Angst. Auf die Medikamente kann hier nicht genauer eingegangen werden. Die Kenntnis und das Einüben von Selbsthilfetechniken (besonders Lippenbremse und atemerleichternde Körperhaltungen) – möglichst bereits in beschwerdefreien Phasen – kann eine enorme Hilfe sein. Oft liegt es gerade daran, ob Anfälle verhindert oder zumindest in ihren Auswirkungen wesentlich gemindert werden können. Als hilfreich wird auch das Autogene Training erachtet. Konsequent über einen längeren Zeitraum durchgeführte Entspannungsübungen führen zu der Fähigkeit, seelische Erregungen besser unter Kontrolle zu bekommen. Dinge, die einen aufregen, können mit mehr Gelassenheit und innerer Distanz wahrgenommen werden. Der Mensch kann zu größerer Ausgeglichenheit und Ruhe gelangen, Eigenschaften, die vielen Menschen in der Hektik der heutigen Leistungsgesellschaft immer mehr abhanden kommen. Gerade diese Eigenschaften haben nach der Überzeugung vieler Kranker etwas mit dem verlauf der Krankheit zu tun. Kurse werden heute in fast allen Volkshochschulen angeboten, preiswerte Literatur und Höranleitungen gibt es überall zu kaufen.

Asthma und Angst: Nicht vergessen sollte man in dem Zusammenhang einen Aspekt, auf den der Asthmaexperte Prof. Linus Geisler in einem seiner lesenswerten Bücher („Leben mit Asthma, Bronchitis, Emphysem“) hinweist: Der Asthmakranke leidet an Angst, weil er an Luftnot leidet und seine Angst verstärkt die Luftnot. Eine in erster Linie gegen die Angst gerichtete (Psycho-)Therapie würde bedeuten, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Was ein asthmakranker Mensch als allererstes braucht, ist eine entzündungshemmende und krampflösende Therapie. Je wirksamer die Medikamente sind und je seltener es dadurch zu Beschwerden kommt, umso weniger besteht Anlass für Angst und umso weniger wird sich diese Angst ausbreiten können.

Zur Selbstwahrnehmung von Asthmakranken

Wie weit können Asthmakranke den Zustand ihrer Bronchien selber richtig einschätzen? Untersuchungen ergaben ein merkwürdiges Bild: Erstaunlich viele Asthmatiker sind nicht in der Lage, den momentanen Grad der Bronchienverengung realistisch zu beurteilen. Es gibt verschiedene Arten der Fehleinschätzung: Manche überschätzen den Grad der Verengung, manche unterschätzen ihn eher. Häufig findet sich eine unsichere Wahrnehmung, das heißt die Obstruktion (Verengung) wird in manchen Situationen zu hoch, in anderen wieder zu niedrig eingeschätzt.

Wer allgemein zur Unterschätzung neigt, wird wahrscheinlich erste und weitere Anzeichen einer Verschlechterung überhaupt nicht oder nicht ausreichend wahrnehmen oder beachten. So kann sich ein Anfall unbemerkt und ungehindert bis zu beträchtlichem Ausmaß entwickeln. Asthmatiker mit dieser Eigenschaft stellen nicht selten besondere Risikopatienten dar.

Wer zur Überschätzung neigt, wird überall „die Flöhe husten“ hören, eine Eigenschaft, die eine ängstliche Grundstimmung erzeugt, wodurch die befürchteten Beschwerden eher begünstigt werden. Auch bei unsicherer Wahrnehmung, so zeigt die Erfahrung, reagieren die Patienten häufig nicht angemessen: manchmal zu wenig, manchmal dagegen übertrieben. Die Gründe für derart unterschiedliche Körperwahrnehmungen sind noch wenig erforscht. Wesentlich ist aber, dass man eine richtige Einschätzung trainieren kann! Und zwar mit Hilfe des Peak-Flow Meters: Schätzen Sie vor dem Messen ihre Werte und vergleichen Sie diese mit den (objektiven) Ergebnissen des Messergerätes. Auch interessant: Sie können nachprüfen, welche Einflüsse tatsächlich etwas mit einer Bronchienverengung bei Ihnen zu tun haben und welche nicht. Wahrscheinlich werden Sie feststellen, dass manche Zusammenhänge nur in Ihrer Vorstellung existieren. Weitverbreitete Erklärungen für Atembeschwerden sind z.B. das Wetter, die Jahreszeiten, Mondphasen, bestimmte Gerüche, die Anwesenheit bestimmter Menschen und viele mehr.

Eine angemessene Selbsteinschätzung ist ein wichtiger Faktor für ein bestmögliches Leben trotz Asthma.

Darum noch einmal:

  • Die Selbsteinschätzung der Bronchienverengung ist trügerisch!
  • Die Obstruktion kann überschätzt, unterschätzt oder unsicher wahrgenommen werden.
  • Eine realistische Einschätzung des Zustandes der Bronchien kann mit Hilfe des Peak-Flow Meters trainiert werden.
  • Mit dem Peak-Flow Meter können Sie außerdem überprüfen, ob vermutete Zusammenhänge zwischen allen möglichen Einflüssen und Ihren Atembeschwerden tatsächlich bestehen.

Der Stellenwert von Psychotherapie in der Behandlung des Asthmakrankheit

Eine Psychotherapie als zusätzliche Behandlungsmethode kommt in Frage, wenn sich direkte oder indirekte Hinweise ergeben, dass psychische Faktoren (wie oben beschrieben) den Krankheitsverlauf mitbeeinflussen. Darüber hinaus kann eine Psychotherapie natürlich auch unabhängig von der Atemwegserkrankung angebracht sein aufgrund einer allgemeinen seelischen Problematik.

Wie sollte Psychotherapie nicht eingesetzt werden?

  • als alleinige Behandlungsmethode
  • als Zusatztherapie, ohne dass alle anderen (medikamentösen und nichtmedikamentösen) Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind
  • wenn keinerlei Hinweise auf eine seelische Mitbeeinflussung vorliegen


Je geringer die körperlichen Beschwerden durch eine optimale (entzündungshemmende und krampflösende) medikamentöse Behandlung sind, desto weniger werden sich psychische Probleme entwickeln können. Dadurch nehmen Ängste (vor der Nacht, vor beruflichen Problemen usw.) ab. Der mögliche Konfliktstoff (mit Angehörigen, Arbeitskollegen etc.) verringert sich. Oft erübrigen sich weitere Maßnahmen allein durch eine optimierte „medikamentöse Einstellung“, wie man die individuelle Anpassung der Medikamente an einen Patienten bezeichnet. Andererseits sollte man aber auch nicht aus „falscher Scham“ bei Bedarf eine sinnvolle Psychotherapie ablehnen und damit eine wertvolle Behandlungsmöglichkeit nicht nutzen. Bei gegebener Indikation kann Psychotherapie für Betroffene wie Angehörige eine große Hilfe sein.

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